FOCUS-Online-Redakteur Ulf Lüdeke
Die Unregelmäßigkeiten überraschten selbst erfahrene Politik-Experten: Bei der Bekanntgabe des offiziellen Endergebnisses am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag sprach ein Sprecher des Landeswahlleiters in NRW der AfD 2204 Zweitstimmen mehr zu, als dies beim vorläufigen Endergebnis der Fall war.
„Diese Zahlen sind auffallend hoch, sowohl bei den betroffenen Stimmbezirken als auch bei den nicht gezählten Stimmen“, sagte Parteienforscher Oskar Niedermayer zu FOCUS Online. „Das ist sehr ungewöhnlich, ich kann mich an keinen ähnlichen Fall in der Geschichte der Bundesrepublik erinnern.
Die Überprüfung des Wahlergebnisses war mit Spannung erwartet worden. Denn die Koalition, über die der Wahlsieger CDU und die FDP inzwischen offiziell verhandeln, hätte im Landtag nur eine Ein-Stimmen-Mehrheit.
Die Abweichungen:
Von den Unregelmäßigkeiten ist keinesfalls nur die AfD betroffen, sondern „nahezu alle Parteien“, sagte ein Sprecher laut WDR am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag. Die AfD ist aber besonders stark von den Fehlern betroffen – sie hatte Nachzählung gefordert, nachdem es offenbar in mehreren Ortsverbänden auffallend niedrige Ergebnisse gegeben hatte.
- In einem Stimmbezirk in Mönchengladbach, in dem sie 7,6 Prozent bei den Erststimmen erzielte, wurden ihr im vorläufigen Endergebnis bei den Zweitstimmen 0,0 Prozent angerechnet. Die Nachzählung ergab laut WDR dort einen Zweitstimmenanteil von 8,6 Prozent.
- Insgesamt wurden Unregelmäßigkeiten in 50 von 15.000 Stimmbezirken festgestellt.
- Nun werden der AfD 2204 zusätzliche Zweitstimmen zugeschlagen.
Wie konnte das passieren?
NRW-Wahlleiter Wolfgang Schellen geht nach WDR-Angaben davon aus, dass die Fehler bei der Auszählung irrtümlich passiert sind. Er könne vorsätzliche Manipulation aber nicht ausschließen. Zumindest in Mönchengladbach stießen Polizei und Staatsanwaltschaft auf den Anfangsverdacht einer Wahlfälschung, weswegen dort nun ermittelt wird.
Oskar Niedermayer macht dafür vor allem den „enormen Druck“ verantwortlich, unter dem die Wahlhelfer stünden. „Fehler passieren immer. Aber es sind vor allem die Öffentlichkeit und die Wahlleiter, die auf der Jagd nach schnellen Hochrechnungen die Wahlhelfer zu übertriebener Eile drängen.“
Die hohe Fehlerquote bei der AfD könnte laut Robert Hotstegs, Anwalt und Berater des Vereins „Mehr Demokratie in NRW“, auch noch einen anderen Grund haben. „Dies kann damit zusammenhängen, dass AfD-nahe Wahlbeobachter bei der Landtagswahl besonders aktiv waren. Wer nach Fehlern sucht, findet sie auch“, sagte Hotstegs dem WDR.
Was bedeutet das für die Wahl in NRW?
Am Ausgang der Wahl wird diese Korrektur nichts ändern. Nach Angaben des Landeswahlleiters fehlten der AfD weitere 9800 weitere Stimmen, um ein 17. Mandat im Landtag zu erhalten. Der Stimmanteil der AfD liegt trotz der 2204 zunächst nicht berücksichtigen Stimmen nach wie vor bei 7,4 Prozent. Doch wenn man bedenkt, dass die AfD nun auf insgesamt 626.756 Stimmen kommt, wird klar, dass sie ein weiteres Mandat zwar nicht knapp verpasst hat, dass aber auch nicht so wahnsinnig viel dazu fehlte.
Die AfD könnte gegen das Endergebnis klagen – unter anderem auch deswegen, weil die Leiter der 128 Wahlkreise Neuzählungen nach eigenem Ermessen anordnen konnten – für jene Stimmbezirke, in denen es hohe Unterschiede zwischen Erst- und Zweitstimmen oder etwa viele ungültige Stimmen gab.
Niedermayer rechnet allerdings nicht damit, dass solch eine Klage Erfolg hätte. „Erstens, weil der Abstand mit knapp 10.000 Stimmen auf ein weiteres Mandat zu hoch ist, um das noch wettmachen zu können. Und zweitens, weil es sicher sehr schwer werden dürfte, Wahlhelfern Absicht bei der Benachteiligung der AfD nachweisen zu können.
Was sagt das über das deutsche Wahlsystem aus?
Die Unregelmäßigkeiten seien zwar hoch, rechtfertigten aber nicht einen Systemwechsel, meint Niedermayer. „Um Beanstandungen beim Wahlverlauf Rechnung tragen zu können, ist das erste Endergebnis ja genau aus diesem Grund auch nur ein vorläufigen.“ So hätten alle Beteiligten Zeit, Unregelmäßigkeiten anzeigen und überprüfen lassen zu können.
Fehler passierten bei Wahlauszählungen immer wieder, sagt Neumayer. Den Wahlhelfern könne dafür jedoch kein allgemeiner Vorwurf gemacht werden, denn sie stellten ihre Unterstützung, „für ein Butterbrot“ zur Verfügung.
Nach Neumayers Auffassung sollten vor allem die Leiter aller Wahlen die hohen Unregelmäßigkeiten in NRW zum Anlass nehmen, ihre Arbeit in eine neue Richtung zu lenken. „Ganz gleich ob auf Gemeinde- oder Bundesebene: Sie sollten eindringlich an die Wahlhelfer appellieren, sich die Zeit für die Auszählung zu lassen, die sie benötigen, um keine Fehler zu machen.“