von Udo Stüßer
Der einzige Tagesordnungspunkt, für den Geilenkirchens Bürgermeisterin Daniela Ritzerfeld eine Sondersitzung des Stadtrates einberufen hatte, wurde am Mittwochabend von der Tagesordnung abgesetzt. In dieser Sondersitzung sollte der Rat beschließen, das laufende Abstimmungsverfahren für den Bürgerentscheid am 15. Dezember zum Bau einer Zentralen Unterbringungseinrichtung an der Landstraße einzustellen. Gleichzeitig sollte er seine Entscheidung vom 25. September über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens „Antrag für einen Bürgerentscheid bezüglich des Baus und des Betriebes einer Zentralen Landeseinrichtung zur Unterbringung von geflüchteten Menschen“ bestätigen. Erneut sollte der Stadtrat beschließen, dem Bürgerbegehren nicht zu entsprechen, sodass ein Bürgerentscheid mit einem neuen Abstimmungsverfahren durchzuführen wäre.
Ein erneutes Abstimmungsverfahren ist notwendig, weil aufgrund einer Panne der Wahlgrundsatz der „geheimen Wahl“ gefährdet war. Die Stadtverwaltung hatte im laufenden Abstimmungsverfahren den Hinweis erhalten, dass die Möglichkeit einer Zuordnung von Stimmschein und Stimmzettel durch einen auf der Rückseite aller Abstimmungsunterlagen aufgedruckten QR-Code bestehe.
Doch einen Tag vor der Sondersitzung hatte die Bürgermeisterin ein Schreiben der Düsseldorfer Rechtsanwaltsgesellschaft Hotstegs erhalten, die die Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens „Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE)“ vertritt. Mit dem Schreiben habe sie nicht gerechnet, erklärte Ritzerfeld. „In dem Schreiben setzt man sich mit vermeintlichen Mängeln am Verfahren auseinander. Da die Rechtsauffassungen unterschiedlich sind, nehme ich das Schreiben ernst und will es zunächst einmal rechtlich würdigen. Das ist in der Kürze der Zeit nicht machbar“, plädierte sie dafür, den Punkt wieder von der Tagesordnung zu nehmen. Sie wolle sich intensiv damit befassen und habe es auch der Bezirksregierung zukommen lassen, sagte sie.
Das wird nicht das letzte Schreiben der Anwaltskanzlei sein. Es haben gleich zwei Anwälte das Mandat übernommen. Man muss uns die Möglichkeit geben, uns zu informieren, um entscheiden zu können. Ansonsten werden wir uns im Kreise drehen, bis uns schwindlig wird.
Wilfrieds Kleinen, FDP-Fraktionschef
CDU-Fraktionschef Manfred Schumacher fühlte sich „in einem luftleeren Raum“ und fragte: „In welcher Phase befinden wir uns? Manche Menschen sagen, nur der Stadtrat hätte den Bürgerbescheid beenden können und nicht Sie?“ Auch darauf wolle und könne sie an diesem Abend keine rechtssichere Auskunft geben, sagte Ritzerfeld und meinte: „Die Meinung der Verwaltung ergibt sich aus der Vorlage, unterscheidet sich aber von der Meinung der Initiative. Letztendlich entscheidet das Gericht.“
Wenig Begeisterung zeigte Max Weiler (CDU): „Der Bürgerentscheid soll stattfinden. Zu vertagen ist doch ein Schlag ins Gesicht der Bürger.“ Antwort Ritzerfeld: „Und dennoch müssen wir ausreichend Zeit haben, uns mit dem Schreiben zu beschäftigen.“
Karl-Peter Conrads (CDU) stellte sich auf die Seite der Bürgermeisterin: „Das alte Verfahren kann nicht weitergeführt werden. Es bleibt nicht aus, dass man sich mit Ihrer Meinung und der des Verfassers des fünfseitigen Schreibens auseinandersetzt.“ Conrads sah aber auch eine zeitliche Dringlichkeit und schlug vor, das Thema in der nächsten Ratssitzung am Mittwoch, 18. Dezember, weiterzubehandeln. Wilfried Kleinen (Fraktionschef der FDP) befürchtete: „Das wird nicht das letzte Schreiben der Anwaltskanzlei sein. Es haben gleich zwei Anwälte das Mandat übernommen. Man muss uns die Möglichkeit geben, uns zu informieren, um entscheiden zu können. Ansonsten werden wir uns im Kreise drehen, bis uns schwindlig wird.“
Auch Grünen Fraktionschef Jürgen Benden warnte: „Man muss auf die Fallstricke achten. Wenn die Verwaltung gesagt hätte, wir stanzen die QR-Codes aus, hätten die auch geklagt. Wenn man will, findet man immer was. Bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen stimmte der Stadtrat für Vertagung.
Rückblick: Nach dem Hinweis, dass die Möglichkeit einer Zuordnung von Stimmschein und Stimmzettel durch einen auf der Rückseite aller Abstimmungsunterlagen aufgedruckten QR-Code bestehe, wurde der Vorfall von Mitarbeitern des zuständigen Hauptamtes und des Datenschutzbeauftragten geprüft. IT-Experten der Stadt bestätigten, dass es möglich sei, „mittels eines Scanners auf einem Smartphone eine Zuordnung von Stimmschein und Stimmzettel vorzunehmen“, wie es in der Vorlage zur Ratssitzung heißt.
Die mit dem Druck und Versand beauftragte Firma, die die QR-Codes auf den Unterlagen angebracht hat, habe erklärt, dass die Verwendung dieser Kuvertiermatrix lediglich dazu diene, eine fehlerfreie Zustellung aller Abstimmungsunterlagen an alle Abstimmungsberechtigten sicherzustellen. Die Firma habe bestätigt, dass es eine fortlaufende Nummerierung innerhalb des QR gebe. „Hierdurch wäre dann tatsächlich eine Zuordnung der einzelnen Abstimmungsunterlagen möglich“, ist Bürgermeisterin Daniela Ritzerfeld überzeugt. Die Firma soll aber erklärt haben, dieses Verfahren sei für sie ein Standardprozedere, nachdem sie immer vorgehen würde. Die Firma habe so schon viele Wahlunterlagen gedruckt.
Nach Gesprächen mit der Kommunalaufsicht und mit einem Fachmann im Bereich des Wahlrechts hat sich die Bürgermeisterin entschlossen, das Abstimmungsverfahren zu wiederholen.
Die Bürgerinitiative, die sich gegen den Bau einer ZUE wendet, übt an dem Vorgang Kritik. Deren Anwalt Robert Hotstegs erklärt in dem dem Schreiben an Bürgermeisterin Daniela Ritzerfeld, das auch unserer Zeitung vorliegt: „Die QR-Codes hätten – wie auch mit der Kommunalaufsicht offenbar diskutiert – kosten- und im Ergebnis auch zeitsparend entfernt werden können. Erst seit Ihrer Bitte, nicht mehr abzustimmen, war dies nicht mehr ausreichend, um eine ordnungsgemäße Abstimmung zu gewährleisten.“ Um die Kosten für den neuen Bürgerentscheid möglichst gering zu halten, schlägt Hotstegs im Auftrag der Initiative vor, den Tag des Bürgerentscheids auf den geplanten Tag der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 zu legen. Dies spare nicht nur Kosten, sondern verhindere auch eine Wahl- oder Abstimmungsmüdigkeit. Außerdem könnten so Fehler des ersten Bürgerentscheids verhindert werden.
Fehlerhaft, so der Anwalt, sei das Abstimmungsheft, das den Wahlunterlagen beiliegt und den Bürgern als Entscheidungshilfe dienen soll. Hier haben alle Beteiligten – die Bürgermeisterin, die Fraktionen und die Bürgerinitiative – ihre Argumente dargelegt.
Sowohl über die Länge der Texte als auch über die angemessene, sachliche Darstellung der Inhalte sei eine „einvernehmliche Verständigung“ zwingend vorgeschrieben. „Obwohl die Vertretungsberechtigten im ersten Abstimmungsverfahren mehrfach vorab um Vorlage der Texte der Fraktionen und Ihres Textes gebeten haben, haben sie erstmalig im fertigen Abstimmungsheft Kenntnis von diesen erlangt. Eine einvernehmliche Verständigung ist nicht vorher herbeigeführt worden. Daher war das Abstimmungsheft aber rechtswidrig.“
Durch die satzungswidrige Gestaltung des Heftes habe die Bürgermeisterin profitiert, weil sie die Kostenschätzung der Verwaltung abgedruckt habe. „Ihre Darstellung enthält den Hinweis, dass eine Ablehnung der ZUE einen deutlichen Anstieg der Grundsteuern für alle Bürgerinnen und Bürger in Geilenkirchen nach sich ziehen würde. Sie stellen dies nicht als Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit oder Option dar, sondern als zwingende spürbare Konsequenz.“ Dies sei unzutreffend.
Habe der Bürgerentscheid Erfolg und werde die ZUE abgelehnt, ändere sich die Steuerlast der Bürgerinnen und Bürger nicht. Es obliege dem Rat selbstverständlich im Rahmen seiner Zuständigkeit, die kommunalen Finanzen zu organisieren und dabei auch kommunale Steuer- und Abgabengestaltungen zu beschließen.