Beamte dürfen gegenüber Kollegen/-innen und Untergebenen keine anzüglichen Bemerkungen machen, die als „Anmache“ verstanden werden können. Gleiches gilt für leichte Berührungen selbst dann, wenn sie nicht direkt sexualbezogen sind. Verstößt ein Beamter hiergegen mehrfach und über einen längeren Zeitraum, sowie in einer Vorgesetztenfunktion, stellt das Verhalten ein schweres Dienstvergehen dar, das in Einzelfällen bis zur Entfernung aus dem Dienst oder zur Degradierung führen kann.Die Entscheidung ist allgemein zum Komplex „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz “ ergangen, jedoch werden auch viele andere Rechtsfragen angesprochen, die unabhängig vom Tatvorwurf konkreten für die Rechtsentwicklung hoch interessant sind.
Die Entscheidung ist zunächst unter formalen Aspekten interessant. Die Disziplinarkammer hat sieben Zeuginnen selber vernommen. Damit wird die früher übliche Tendenz, das Disziplinargerichte keine Beweise erheben, durchbrochen. Wie das Gericht zutreffend ausführt, müssen Aufklärungsmängel des Verwaltungsverfahrens notfalls im gerichtlichen Verfahrensabschnitt geheilt werden. Damit werden Rückverweisungen an die Verwaltung weitgehend überflüssig, was das Verfahren beschleunigt.
Interessant ist weiterhin, dass die Disziplinarkammer keinen Anstoß daran genommen hat, dass für die Verwaltung ein externer Rechtsanwalt im vorgerichtlichen Verfahren als Ermittlungsführer tätig war. Das Gericht führt aus, nach den anwendbaren Vorschriften müsse der Ermittlungsführer nicht Beamter sein und ein externer Rechtsanwalt könne daher mit dieser Aufgabe betraut werden. Dies eröffnet es kleinen Kommunen, die keine eigene Rechtsabteilung und wenig Erfahrungen mit Disziplinarfällen haben, für diese Verfahren sozusagen ein „outsourcing“ durchzuführen. Auch bei der Erhebung der Disziplinarklage gegen einen Beamten, so das VG Trier, könne sich die jeweilige Behörde bzw. Kommune durch einen externen Anwalt vertreten lassen, so wie in anderen Verwaltungsverfahren auch. Es müsse lediglich sichergestellt sein, dass der Wille des Dienstherrn, eine Disziplinarklage zu erheben, hinreichend zum Ausdruck komme. Dies könne auch dadurch geschehen, dass die vom Anwalt eingereichte Disziplinarklage nachträglich vom Bürgermeister der klagenden Stadt unterschrieben werde.
Weiterhin hat sich das Gericht sehr lange detailliert mit der „Verjährungsfrage“ beschäftigt. Genau genommen gibt es im Disziplinarrecht eine Verjährung nicht, sondern lediglich ein nach der Schwere des Deliktes abgestuftes Maßnahmeverbot. Das Gericht betont hierzu, dass die „Verjährungszeit“ nicht beginnt, wenn einheitliche, inhaltlich ähnliche Pflichtverletzungen vorliegen. Damit wird die bereits lange bestehende Rechtsprechung zur „Einheitlichkeit des Dienstvergehens“ bestätigt. Allerdings fügt die Disziplinarkammer des VG Trier hinzu, eine Verjährung komme dann doch in Betracht, wenn einzelne Verfehlungen „in keinem inneren oder äußeren Zusammenhang stehen und eine gewisse Selbstständigkeit aufweisen „. Diese Frage ist also in jedem Fall zu prüfen, bevor man über die Verjährung bzw. das Maßnahmeverbot entscheidet.
Die Disziplinarkammer hat sich weiter auf S. 21 des Urteilsumbruchs mit wichtigen Gründen auseinandergesetzt, welche die Disziplinarstrafe mildern können. Hierzu gehört zum einen die Tatsache, dass der betreffende Beamte disziplinarisch nicht vorbelastet war, andererseits die Feststellung, dass es sich um einen besonders leistungsstarken Beamten handelte. Damit wird die Rechtsprechung anderer Disziplinargerichte untermauert, die bei langjährigen Leistungsträgern die ansonsten notwendige Disziplinarsanktion um eine volle Stufe zu Gunsten des Beamten abgesenkt haben (so bereits OVG NRW, Urt. v. 06.03.1987; 1 V 4/85). Im Disziplinarverfahren ist es daher regelmäßig die Pflicht des Anwaltes, auch zu den Leistungen, Verdiensten und Beurteilungen des Beamten vorzutragen. Dabei sind auch besondere Einsätze (wie z. B. freiwillig übernommene, umfangreiche Gremienarbeit, Lebensrettung gefährdeter Personen oder besonders wirksame Vorschläge zur Arbeitsorganisation) zu berücksichtigen und vorzutragen. Weiterhin betont das VG Trier, dass glaubwürdige Entschuldigungen und Reue von großer Bedeutung sind, im Falle sexueller Belästigungen auch die freiwillige Einschaltung der Gleichstellungsbeauftragten.
In der Sache ging es um Übergriffe verbaler Art und um kleinere körperliche Berührungen. So fragte der Beamte, um den es in dem Verfahren beim VG Trier ging, eine junge Kolleginn, ob sie es „schon mal mit einem Älteren gemacht“ habe, ob er ihr „die Spinnweben entfernen“ sollte, ob sie „einen Freund habe“, „welche BH-Größe sie habe“ und ob man sich nicht „privat treffen“ wolle, um sich „gemeinsam zu entspannen“. Hinzukamen körperliche Handlungen, wie das sehr nahe Heran-rücken mit dem Schreibtischstuhl, ein „Hand auf die Schulter legen“ (und dort belassen, trotz Aufforderung die Hand wegzunehmen) sowie ein Streicheln über Schulter und Nacken mit der Bemerkung, die junge Kollegin habe ein „schönes Oberteil“. Erschwerend kam hinzu, dass es sich bei dem Beamten um den stellvertretenden bzw. alleinigen Leiter des Personalamtes handelte und die derart angesprochenen bzw. angefassten Kolleginnen z.T. Anwärterinnen oder Beschäftigte in der Probezeit waren. Hierdurch sei, so das VG Trier sehr nachvollziehbar, in besonderer Weise ein Abhängigkeitsverhältnis missbraucht worden.
In diesem Zusammenhang stellt die Disziplinarkammer klar, dass keineswegs jede sexuelle Bemerkung bzw. jede körperliche „Anmache“ am Arbeitsplatz ein Disziplinarvergehen darstelle. Dies könnte man auch heute nicht mehr behaupten bzw. durchsetzen, da auch viele dauerhafte Beziehungen durch Liebeleien am Arbeitsplatz entstehen. Das Gericht schließt sich diesem Gedanken an und betont, dass die Grenze zur Pflichtwidrigkeit erst dann überschritten wird, wenn eine eindeutig ablehnende Haltung der anderen Person (egal ob Mann oder Frau) nicht respektiert wird und die Zudringlichkeiten auch nach einer Ablehnung fortgesetzt werden. Dabei könne die Ablehnung sowohl verbal als auch konkludent durch Körpersprache ausgedrückt werden. Wenn aber eine derart eindeutige Ablehnung nicht respektiert wird, liegt ein schweres Dienstvergehen sowohl bei verbaler, visueller als auch körperlicher Sexualisierung des Arbeitsverhältnisses vor. In welcher Form der Übergriff erfolgt, ist dabei egal. Entscheidend ist, dass jede(r) Bedienstete im öffentlichen Dienst vor sexuellen Belästigung der Kollegen und Vorgesetzten sicher sein muss.
Im Endergebnis hat sich das Gericht dazu entschlossen, den betroffenen Beamten vom Amtsrat zum Stadtamtmann zurückzustufen. In seiner Bewertung führt das Gericht aus, auch die verbalen Übergriffe und die leichten körperlichen Berührungen stellten wegen der Ausnutzung des Abhängigkeitsverhältnisses ein schweres Dienstvergehen dar, welches die Degradierung erforderlich macht. Andererseits sei wegen der Milderungsgründe und auch deswegen, weil es nicht direkt zu eindeutig sexuellen Handlungen kam, von einer Entfernung aus dem Dienst abzusehen.
Für Vorgesetzte sollte das Urteil Anlass sein, auf „lockere Sprüche“ ggü. Mitarbeitern des anderen Geschlechts völlig zu verzichten, stets hinreichenden körperlichen Abstand zu halten und sich nach Möglichkeit gerade mit jungen Kolleginnen, bei denen ein Abhängigkeitsverhältnis konstruiert werden kann, nicht in einem für andere uneinsehbaren Raum aufzuhalten.
Einerseits ist dieses Urteil zu begrüßen, da es zeigt, dass die früher in vielen Behörden üblichen verbalen Umgangsformen nicht mehr hingenommen werden, soweit sie sexualbezogenen und belästigenden Charakter haben. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, dass heute das Pendel des „Zeitgeistes“ bereits sehr oder sogar zu stark in die andere Richtung umschlägt und Beschuldigungen gegen Vorgesetzte oder Kollegen oftmals als Mittel missbraucht werden. Der Unterzeichner hat selbst ein Verfahren erlebt, bei dem vier Sekretärinnen gegen den Amtsleiter den Vorwurf sexueller Belästigung erhoben, um sich für negative Beurteilungen zu rächen. Es bedurfte 34 ganztägiger Beweistermine, um diese Verschwörung nachzuweisen. Auch als Rache für gescheiterte eigene Beziehungspläne wird der Vorwurf sexueller Belästigung gelegentlich missbraucht. Wer immer als Dienstherr mit solchen Vorwürfen konfrontiert wird, muss stets auch diese Möglichkeit bedenken. Es ist nämlich allgemein anerkannt, dass auch angebliche Opfer falsche Verdächtigungen vorbringen können oder sogar Straftaten vortäuschen (s. http://www.focus.de ). Es bedarf wahrhaft ergebnisoffener Verfahren, um die erhobenen Vorwürfe zu überprüfen. Sowohl der Dienstherr als auch der/die Ermittlungsführer sollte(n) sich nicht „gefühlsmäßig“ zu schnell auf die eine oder andere Variante festlegen. Sowohl das Bundes- als auch das Landesrecht (§ 21 Bundesdisziplinargesetz und entsprechendes Landesrecht) verlangen nämlich, dass im Ermittlungsverfahren sowohl „die belastenden als auch die entlastenden Umstände“ zu ermitteln sind. Ein professionelles Herangehen an die Ermittlungen verlangt daher, dass die Beschuldigungen im Bestreitensfall zunächst nur als „Arbeitshypothese“ behandelt werden, denen gleichwertig die „Unschuldshypothese“ gegenübersteht.
Das VG Trier hat in der genannten Entscheidung vom August 2008 diesen Gedanken insoweit Rechung getragen, als es alle Zeugenaussagen detailliert darauf hinterfragte, ob unglaubwürdige Belastungstendenzen vorhanden und die Aussagen in sich widerspruchsfrei sind. Im Zweifel – wenn der Sachverhalt nicht mit letzter Sicherheit aufzuklären ist- muss im Rechtsstaat der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“, auch bekannt als „in dubio pro reo“, gelten (so auch Köhler/ Ratz, Bundesdisziplinargesetz und materielles Disziplinarrecht, Rz. 2 zu § 3 BDG). Es zeichnet sich ab, dass in diesem Bereich der Rechtssprechung noch viele Details zu klären sind. Da das besprochene Urteil noch nicht rechtskräftig ist, d.h. eine der beteiligten Seiten Berufung eingelegt hat, wird man hierzu in überschaubarer Zukunft noch die Bewertungen des zuständigen Disziplinarsenates beim OVG Rheinland-Pfalz lesen können.