Rich­terin wirft nach drei­zehn Ver­hand­lungs­tagen hin, lto.de v. 24.09.2020

„Bandidos“-Prozess am LG Hagen muss neu aufgerollt werden

von Annelie Kaufmann

Am LG Hagen ist ein umfangreicher Rockerprozess geplatzt. Nach 13 Verhandlungstagen und rund 50 Zeugen musste die Kammer den Prozess aussetzen. Grund: Eine Richterin auf Probe will kurzfristig aus dem Justizdienst ausscheiden. 

Am 10. August hatte vor dem ersten Schwurgericht des Landgerichts (LG) Hagen die Hauptverhandlung begonnen – mit den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen und mit dem entsprechenden Medieninteresse. Angeklagt sind sechs Männer aus Hagen, Altena und Iserlohn in Nordrhein-Westfalen, von denen fünf Mitglieder der Gruppe „Bandidos MC“ sein sollen, einer soll dem Unterstützerclub „Iron Bloods 58“ angehören. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und andere Straftaten vor, darunter versuchter Mord. Es geht um Auseinandersetzungen mit anderen Motorradclubs, insbesondere mit dem in Hagen ansässigen „Freeway Riders MC“. 

Dass das ein aufwendiger Prozess werden wird, war absehbar. Angesetzt waren zunächst 32 Verhandlungstage, von August bis Ende November sollte verhandelt werden. Klar war aber auch, dass das womöglich nicht reichen würde. Überraschend kam dagegen, dass die Kammer am Montag dieser Woche erklärte, dass die Hauptverhandlung ausgesetzt werde und der Prozess neu begonnen werden muss. Zuerst hatte darüber die WAZ berichtet. 

Der Grund: Eine der Richterinnen scheidet kurzfristig aus dem Justizdienst aus, aus „persönlichen Gründen“ und mit „sofortiger Wirkung“, wie das Gericht gegenüber LTO bestätigte. Die „Bild“-Zeitung hatte über eine Bedrohung aus dem Rockermilieu spekuliert, dafür gebe es jedoch „überhaupt keine Anhaltspunkte“, betonte ein Sprecher des Gerichts. Die Hauptverhandlung soll nun am 14. Januar kommenden Jahres neu beginnen. 

Eine „Kündigungsfrist“ gibt es für Richter nicht

Die Richterin war noch in der Probezeit – hatte also ihre Justizlaufbahn gerade erst begonnen. Sie hatte zunächst bei der Staatsanwaltschaft gearbeitet. Nach Angaben des Gerichts war sie für zunächst ein Jahr an die Kammer abgeordnet. Solche Abordnungen sind in Nordrhein-Westfalen üblich und dienen dazu, in der Probezeit neben der Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft auch das Richteramt kennen zu lernen. 

Nun hat sich die junge Richterin jedoch entschieden, insgesamt aus dem Justizdienst auszuscheiden. Und das kann sie jederzeit tun: Eine „Kündigung“ oder eine „Kündigungsfrist“ ist nicht vorgesehen. Gem. § 21 Abs. 2 Nr. 4 Deutsches Richtergesetz ist ein Richter zu entlassen, wenn er seine Entlassung schriftlich verlangt. 

„Der Gesetzgeber meint das genauso, wie es da steht“, sagt der Düsseldorfer Fachanwalt für Verwaltungsrecht Robert Hotstegs dazu. „Er verlangt keine Begründung, keine Frist, nur ein schriftliches Gesuch“. Hotstegs berät unter anderem zum Beamtenrecht und ist ständiger Beisitzer im Dienstgericht für Richter beimLandgericht Düsseldorf. „Ich habe es auch schon erlebt, dass ein Beamter zu mir in die Beratung gekommen ist und am nächsten Morgen um acht Uhr ein Fax losschicken wollte, um noch am selben Tag entlassen zu werden – möglich ist das, wenn auch in den meisten Fällen nicht ratsam.“ 

Immerhin verlieren Richter und Beamte dann von einem Tag auf den anderen alle Ansprüche und sind auf ALG II angewiesen – wenn sie nicht direkt eine Anschlussbeschäftigung haben. Offenbar verlässt sich der Gesetzgeber darauf, dass sich die meisten Richter gut überlegen, ob sie den sicheren Justizdienst kurzfristig quittieren wollen. 

Auch das nordrhein-westfälische Justizministerium erklärt gegenüber LTO: „Der Richter kann einen Entlassungstag festlegen mit der Folge, dass die Entlassung für diesen Tag auszusprechen ist.“ Weiter heißt es seitens des Ministeriums: „Mit Blick auf die gesetzgeberische Entscheidung einerseits und die richterliche Unabhängigkeit andererseits enthält sich das Ministerium der Justiz einer Bewertung.“ Über den hier angesprochenen Fall hinaus sei „nicht bekannt, dass aufgrund der gesetzlichen Regelung Gerichtsverfahren nicht haben durchgeführt werden können.“

Wenn kein Ersatzrichter dabei war, muss die Verhandlung von vorne beginnen

Dass ein umfangreiches Strafverfahren platzt, weil ein Richter krank wird, ausfällt oder eben ausscheidet, lässt sich nur vermeiden, wenn von vorneherein ein Ergänzungsrichter an dem Prozess teilnimmt. Ob ein Ergänzungsrichter zugezogen wird, entscheidet der Vorsitzende Richter. 

In diesem Prozess war das nicht vorgesehen. Ob die Vorsitzende Richterin im weiteren Verfahren einen Ergänzungsrichter bestellt, um sicherzugehen, dass der Prozess nicht erneut platzt, sei noch nicht klar, hieß es seitens des LG Hagen. Es ist aber nicht unüblich, dass solche Verfahren ohne Ergänzungsrichter geführt werden, auch in einem weiteren Bandidos-Prozess vor dem LG Hagen, der im Oktober beginnt, ist ein Ergänzungsrichter bisher nicht vorgesehen.

Für die Justiz bedeutet der plötzliche Abgang also vor allem Kosten für die bisherigen Verhandlungstage und erneuten Aufwand. Immerhin fanden bereits 13 Verhandlungstage statt, ein großer Teil der Beweisaufnahme war bereits erfolgt und nach Angaben des Gerichts wurden bereits 50 Zeugen vernommen. Nun muss die Beweisaufnahme wiederholt werden, Eingang in das Urteil darf nur finden, was in der neuen Hauptverhandlung vorgetragen wird. 

Möglicherweise könne man das aber doch ein wenig abkürzen, heißt es seitens des Gerichts und – in Absprache mit den übrigen Prozessbeteiligten – auf diejenigen Zeugen verzichten, von denen man jetzt schon wisse, dass ihre Einlassungen eher unergiebig seien.