In einem hier betreuten Mandat hat das Verwaltungsgericht Münster in einem am 06.06.2009 zugestellten Urteil dem anwaltlichen Antrag auf Aufhebung einer Disziplinarverfügung der Bezirksregierung Münster stattgegeben.
Die Entscheidung stellt im Wesentlichen darauf ab, dass die von der Bezirksregierung erlassene Disziplinarverfügung nicht hinreichend den Vorwurf eines Disziplinarvergehens konkretisiere. Dies sei aber aus rechtsstaatlichen Gründen unerlässlich, weil sich ein Beamter anders gegen den Vorwurf nicht hinreichend verteidigen könne.
In der Verwaltungspraxis erleben wir als Anwälte immer wieder, dass Einleitungsverfügungen und auch Disziplinarverfügungen sehr vage gehalten werden und eine genaue Benennung des Vorwurfes vermissen lassen. Die Disziplinarkammer hat dem jetzt einen Riegel vorgeschoben; über den Einzelfall hinaus dürfte die Entscheidung von allgemeinem Interesse sein.
Folgende Leitsätze ergeben sich aus der Entscheidung des Gerichts:
1. Enthält ein Disziplinarbescheid keinen Sachverhalt, aus dem sich ein Dienstvergehen des Klägers ergibt, verletzt er den Beamten in seinen Rechten und ist aufzuheben. Dabei kann dahinstehen, ob und inwiefern der Kläger im Einzelnen ein Dienstvergehen begangen haben könnte. Denn zum Gegenstand der Urteilsfindung dürften nur diejenigen Pflichtverletzungen gemacht werden, die in den Gründen der Disziplinarverfügung dem Kläger vorgeworfen werden.
2. Eine Konkretisierung des Vorwurfs eines Disziplinarvergehens in der Disziplinarverfügung ist aus rechtsstaatlichen Gründen unerlässlich, weil sich ein Beamter anders gegen den Vorwurf nicht hinreichend verteidigen kann. Auch die Erziehungsfunktion einer Disziplinarverfügung erfordert eine derartige Klarstellung. Daneben ist sie auch hinsichtlich der Rechtskraftwirkung, insbesondere im Hinblick auf das Verbot der Doppelverfolgung, erforderlich.
3. Der Sachverhalt des Disziplinarvorwurfs, insbesondere Tatzeit und -ort, müssen konkret benannt werden und die Disziplinarverfügung muss aus sich heraus verständlich sein. Zur Auslegung dürfen keine Akten, insbesondere nicht die Disziplinarakten herangezogen werden müssen.
(VG Münster, Urt. v. 29.05.2009 – 20 K 351/08.O)
Das Verwaltungsgericht führt im Einzelnen aus:
„Die zulässige Klage ist begründet. Die Disziplinarverfügung vom 9. Januar 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 3 Landesdisziplinargesetz – LDG -, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -).
Der Disziplinarbescheid enthält keinen Sachverhalt, aus dem sich ein Dienstvergehen des Klägers ergibt. Dabei kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob und inwiefern der Kläger im Einzelnen ein Dienstvergehen begangen haben könnte. Denn zum Gegenstand der Urteilsfindung dürften nur diejenigen Pflichtverletzungen gemacht werden, die in den Gründen der Disziplinarverfügung dem Kläger vorgeworfen werden.
Vgl. Köhler/Ratz, Kommentar zum Bundesdisziplinargesetz 3. Auflage 2002 § 33 Anmerkung 13 und § 55 Anmerkung 7; Gansen, Kommentar zum Disziplinarrecht in Bund und Ländern, § 33 Anmerkung 11; Weiss in Kommentar zur BDO § 30 Anmerkung 31 (zur ehemaligen Bundesdisziplinarordnung).
Eine derartige Konkretisierung des Vorwurfs eines Disziplinarvergehens in der Disziplinarverfügung ist aus rechtsstaatlichen Gründen unerlässlich, weil sich ein Beamter anders gegen den Vorwurf nicht hinreichend verteidigen kann. Auch die Erziehungsfunktion einer Disziplinarverfügung erfordert eine derartige Klarstellung. Daneben ist sie auch hinsichtlich der Rechtskraftwirkung, insbesondere im Hinblick auf das Verbot der Doppelverfolgung, erforderlich, und darüber hinaus zur Bestimmung von Verjährungs- und Verfolgungsfristen.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom. 6. Mai 2003 – 2 WD 29/02 -; vergleichbar zur Disziplinarklage: Köhler/Ratz, a. a. 0. § 55 Anmerkung 7.
Daraus folgt, dass der Sachverhalt des Disziplinarvorwurfs, insbesondere Tatzeit und -ort konkret benannt werden müssen und die Disziplinarverfügung aus sich heraus verständlich sein muss. Zur Auslegung dürfen keine Akten, insbesondere nicht die Disziplinarakten herangezogen werden müssen.
Vgl. Weiss, a. a. 0.
An einer derartigen Konkretisierung fehlt es hier, bzw. die wenigen ausreichend konkret erhobenen Vorwürfe stellen ein Disziplinarvergehen nicht dar…“
Soweit ging es dem Gericht um verfahrensrechtliche Fragen. Ferner ging es in der Entscheidung um Fragen des Nebentätigkeitsrechtes. Hierzu führte das Gericht u.a. aus:
„Das Führen der zwei bis drei Telefonate und das Ausfüllen eines Anmeldeformulars verlässt wiederum nicht den Rahmen zulässiger familiärer Unterstützung bzw. überschreitet noch nicht den Bereich disziplinarer Relevanz“.
Die Entscheidung ist in Kürze zur Veröffentlichung und Besprechung in den Nordrhein-Westfälischen Verwaltungsblättern (NWVBl.) vorgesehen.