Anmerkungen zu den Ereignissen von Duisburg und ihrer strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Aufarbeitung
„‚Unser Mitgefühl ist bei den Opfern, sowohl bei den Toten und ihren Familien, als auch bei den Verletzten und Schwerverletzten.‘ Dieser Satz ist richtig und wir schließen uns ihm an. Zugleich kennen wir aus der Vergangenheit die Gefahr, dass eine solche Tragödie noch eine weitere Tragödie nach sich ziehen kann, nämlich eine schwerwiegende Beschuldigung gegen alle Personen, die in irgendeiner Weise mit der Organisation und Genehmigung der Loveparade beschäftigt waren. Aus der Erfahrung mit früheren, ähnlichen Ereignissen und den daraus folgenden Prozessen wissen wir, dass jetzt für eine Vielzahl von Mitarbeitern der Stadtverwaltung Duisburg, ihrer Aufsichtsinstanzen und sogar für Angehörige der Polizei die Gefahr besteht, in langwierige Prozesse hineingezogen zu werden, die nicht nur den persönlichen Ruf sondern auch die wirtschaftliche Existenz der Betroffenen ruinieren können.
Der Druck der Medien, die von dem schrecklichen Unglück berichten, ist sehr groß und er geht wie immer in solchen Fällen in die Richtung, dass ein Sündenbock oder auch viele Sündenböcke gefunden werden sollen. Die Tatsache, dass der ehemalige Polizeipräsident von Bochum nach Medienberichten eine Strafanzeige gegen den Oberbürgermeister der Stadt Duisburg eingereicht haben soll, zeigt die Ernsthaftigkeit und die Dimension der rechtlichen Gefahr, in der sich alle Verantwortlichen befinden.
Derzeit berichten die Medien viel von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und den eingereichten Strafanzeigen. Dies ist aber nur die Spitze des Eisberges. Im Moment wird noch nicht bedacht, dass mit den strafrechtlichen Verfahren auch disziplinarische, arbeitsrechtliche und haftungsrechtliche Konsequenzen einher gehen können. Dies gilt in besonderer Weise für die Personen, die als Beamte mit der Loveparade zu tun hatten. Bei diesem Personenkreis ist es grundsätzlich so, dass strafrechtliche Ermittlungen auch zu einem Disziplinarverfahren führen können. Anders als das Strafverfahren, welches bei unbescholtenen Bürgern, also auch bei Beamten, die noch nie mit der Justiz in Konflikt kamen, meistens nur zu Geldstrafen oder nur bedingten Freiheitsstrafen (Aussetzung der Freiheitsstrafe auf Bewährung) führt, kann das Disziplinarverfahren schlimmstenfalls zu einer dauerhaften beruflichen Degradierung oder aber zur Entfernung aus dem Dienst ohne Weiterzahlung der Bezüge führen. Diese Konsequenzen werden zwar nur in Extremfällen ausgesprochen, müssen aber immer mit bedacht werden.
Eine weitere Konsequenz, die das strafrechtliche Ermittlungsverfahren mit sich bringen kann, ist eine weitgehende finanzielle Haftung. Nach den Vorschriften des Beamtenrechts haftet zwar zunächst einmal für Fehler von Verwaltungskräften die Anstellungskörperschaft. Dies wäre bei Mitarbeitern der Stadtverwaltung die Stadt Duisburg und bei etwaigen Fehlern von Polizeibeamten das Land Nordrhein-Westfalen als Anstellungskörperschaft. Allerdings kann dann, wenn eine grobe Fahrlässigkeit festgestellt wird, Rückgriff bei den Beamten genommen werden, die nach der rechtlichen Bewertung der Gerichte grob fahrlässig gehandelt haben. In einem derartigen Fall haften alle Betroffenen, denen grob fahrlässiges Verhalten nachgewiesen wird, gemeinsam für die finanziellen Schäden, die entstanden sind.
Die finanziellen Schäden aber werden immens sein. Hierzu gehören zunächst die Schmerzensgeld- und Rentenansprüche, die schwerverletzten Personen entstehen können. Ferner gehören zum finanziellen Schaden auch die Krankenhausbehandlungskosten, die von den Krankenversicherungen an grob fahrlässige Schädiger weitergereicht werden können. Auch Schmerzensgeldansprüche von Angehörigen der Todesopfer sind denkbar. Schließlich geht es auch um die Kosten des Rettungseinsatzes selbst, die bei der Vielzahl der Opfer sehr hoch sein können. Sogar Kosten der Rechtsverfolgung (Anwälte, Prozesskosten, Gutachten, etc.) können zu den Schadensansprüchen dazukommen. Alles in allem ist mit Schadensforderungen in zweistelliger Millionenhöhe zu rechnen, die dann eventuell auch Einzelpersonen tragen müssen, wenn grob fahrlässiges Handeln festgestellt wird. Das wäre dann wiederum für diese Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und ihre Familien die Tragödie nach der Tragödie.
Damit eine solche Situation möglichst nicht eintritt, ist es geboten, dass alle Personen, die potenzielle Beschuldigte sind, sich frühzeitig rechtlich beraten lassen und ihre Rechte als Beschuldigte wahrnehmen.
Dem Unterzeichner ist eine solche Verteidigungssituation aus mehreren früheren Fällen bestens bekannt. Dies gilt insbesondere für den sogenannten ‚Rinderbachskandal‘. Seinerzeit waren in den 90iger Jahren mehr als ein Dutzend Kinder in einem Bachbett gestorben, als sie sich mit ihrer Kindergärtnerin während eines starken Regens unter einer Brücke unterstellten und dort von einer Flutwelle mitgerissen wurden und ertranken. In der Folgezeit wurde von der Staatsanwaltschaft in einem großen Prozess ein Dutzend Personen angeklagt, die allesamt mit dem Bachgewässer zu tun hatten. Die einen hatten die Umgestaltung des natürlichen Bachlaufes genehmigt, andere den Zufluss berechnet und das Regenüberlaufbecken vor der Unglücksstelle genehmigt. Weitere Angeklagte waren für den Betrieb und die Verkehrssicherung des Baches zuständig. Diese ‚Rundumklage‘ der Staatsanwaltschaft war deswegen möglich, weil der Vorwurf der fahrlässigen Tötung nicht zwingend nur eine Person treffen muss, sondern gegen eine Vielzahl von Personen gerichtet sein kann, wenn mehrere Personen Fehler gemacht haben, die nach Bewertung der Staatsanwaltschaft die Gefahr für Leib und Leben verstärkten. So besteht auch hinsichtlich der tragischen Ereignisse aus Duisburg die Gefahr bzw. Möglichkeit, dass die Verantwortlichen, welche am Sonntagmorgen noch gemeinsam eine Pressekonferenz durchführten (Oberbürgermeister, Polizeipräsident und Veranstalter), sich demnächst gemeinsam in der Rolle des potentiell Beschuldigten wiederfinden.
Wie damals beim ‚Rinderbachskandal‘ wird es auch jetzt die Tendenz geben, eine Vielzahl von Personen für die tragischen Unglücksfälle verantwortlich zu machen. Eine weitere Besonderheit des strafrechtlichen Verfahrens wird darin bestehen, dass alle verwaltungsrechtlichen Vorgänge auf Seiten der Stadtverwaltung nachgesprüft und ggf. als falsch dargestellt werden können. Dies betrifft nicht nur die Genehmigung des Sicherheitskonzeptes insgesamt, sondern auch einzelne Entscheidungen wie die Größe der Fluchtwege, die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen und die Genehmigung eines Verzichtes auf eine durchgehende Videoüberwachung der heranströmenden Menschenmassen. In der äußeren Form eines Strafprozesses wird somit in der Sache ein Verwaltungsprozess geführt werden. Die Verteidigung in einem solchen Verfahren erfordert mithin detaillierte Kenntnisse der Verwaltungsabläufe und der verwaltungsrechtlichen Gesetze und Vorschriften.
Natürlich trifft die rechtliche Verantwortung in erster Linie den Veranstalter, aber auch die Stadtverwaltung und die Polizei werden sich verteidigen müssen, denn sie haben das Konzept des Veranstalters genehmigt und direkt, in ständiger Absprache mit dem Veranstalter, umgesetzt. In der jetzt beginnenden Verteidigungssituation wird aber einer dem anderen die Schuld zuweisen oder aber versuchen, die Schuld nach unten, also auf nachgeordnete Bedienstete weiterzureichen.
Auf der Startseite unserer Homepage haben wir geschrieben, dass es oftmals sinnvoll ist, die Verteidigung im Strafverfahren und im Disziplinarverfahren als eine Einheit zu gestalten. Dies gilt um so mehr, als es hier auch um haftungsrechtliche Fragen des Beamtenrechts geht.
Alle drei Aspekte müssen von Betroffenen aus dem Bereich der Stadtverwaltung und des Landes von vornherein als Einheit gesehen werden. Dabei ist vor allen Dingen an das Schweigerecht eines Beschuldigten zu erinnern. Niemand, gegen den strafrechtlich ermittelt wird, kann gezwungen werden, eine Aussage zu machen, erst recht nicht, wenn eine Selbstbeschuldigung des Aussagenden droht. Auch der Dienstherr des betroffenen Beamten kann eine Aussage in einer solchen Situation nicht erzwingen. Oftmals ist es sinnvoll, eine Aussage erst dann zu machen, wenn die Akten und die genauen Vorwürfe bekannt sind. Dies kann zwar Wochen oder gar Monate dauern, ist aber vielfach sinnvoller als ‚einfach drauf los zu plaudern‘.
Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass im Strafverfahren ein Anwalt immer nur eine Person verteidigen kann, allerdings können verschiedene Anwälte einer Kanzlei auch verschiedene Beschuldigte in demselben Verfahren vertreten. Theoretisch kann ein Beschuldigter bis zu drei Anwälte im Strafverfahren für sich bestellen. Im Disziplinar- und Haftungsverfahren gibt es eine solche Beschränkung nicht, d.h. hier kann, soweit keine Interessenkollision vorliegt, ein Anwalt mehrere Personen vertreten. Zu erwähnen ist weiterhin die Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Diese führt etwa im Polizeibereich dazu, dass Beamten, die durch Dienstausübung zu einem Strafverfahren kamen, Rechtsschutz gewährt wird. Dies bedeutet u.a. die Übernahme von Anwaltskosten – auch bevor das Verfahren beendet ist. Die Stadtverwaltung Duisburg täte gut daran, ihren Bediensteten, die jetzt von Vorwürfen betroffen sind, ebenso Rechtsschutz zu gewähren.
Auch dies zeigt, was der eingangs gewählte Begriff der ‚Tragödie nach der Tragödie‘ meint. Die Loveparade, die immer Sinnbild für ein Lebensgefühl der Freiheit und Spontaneität war, endet nun nicht nur mit Toten und Verletzten, sondern mit einem Berg rechtlicher Verfahren und juristischer Schuldzuweisungen. Dies ist sicher nicht im Sinne der Raver, die vor Jahren in Berlin mit den Umzügen begonnen haben.“