„Wer Recht mit Gerechtigkeit gleichsetzt, hat Unrecht“
(c) Helga Schaeferling, geb. *1957
Seit kurzem liegt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 09.06.2010 in dem Verfahren 5 AZR 122/09 schriftlich vor. Dort ging es um die Klage eines Chefarztes gegen seinen Arbeitgeber (seine Klinik), mit dem er ein höheres Gehalt erstreiten wollte. In seinem ursprünglich abgeschlossenen Arbeitsvertrag wurde eine jährliche Gehaltserhöhung nach dem Bundesangestelltentarif (BAT) vorgesehen. Obwohl der Chefarzt selber nicht dem Tarifvertrag unterlag, fand sich in seinem Arbeitsvertrag eine Individualverweisung auf die Erhöhungsvorschriften des BAT. Am 13. September 2005 wurde von der Gewerkschaft Ver.di der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) geschlossen, der an die Stelle des BAT trat. Kurze Zeit zuvor, nämlich am 11.09.2005, wurde vom Marburger Bund -der wichtigsten Interessenvertretung der Ärzte- die Tarifgemeinschaft mit Ver.di aufgekündigt und es wurde ein eigenständiger Tarifvertrag für Ärzte gefordert. Am 17.08.2006 haben der Marburger Bund als Vertreter der Ärzte und der Verband der Kommunalen Arbeitgeber (VKA) einen eigenständigen Tarifvertrag (TV-Ärzte/VKA) abgeschlossen. In Berlin kam es zu einem gesonderten Tarifvertrag, nämlich dem TV/Ärzte/Vivantes. Diese Tarifverträge sahen ebenfalls Erhöhungen vor, allerdings andere als der TVöD. In der Folgezeit verweigerte eine Vielzahl der kommunalen Krankenhäusern den Chefärzten eine Gehaltssteigerung entsprechend den Regelungen des TV-Ärzte/VKA und war lediglich bereit, eine Erhöhung nach dem TVöD zu gewähren.
In der Folgezeit wurde hierum vor zahlreichen Arbeitsgerichten und Landesarbeitsgerichten gestritten, da viele Chefärzte eine entsprechende Klausel in ihren Verträgen hatten. Vor den Landesarbeitsgerichten ging die Tendenz eindeutig dahin, den Chefärzten Recht zu geben und eine (größere) Erhöhung nach dem TV-Ärzte/VKA zu gewähren. Lediglich das Landesarbeitsgericht Hessen nahm eine andere Position ein und wies die Klage der Chefärzte ab. In einem Aufsehen erregendem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht den Streit nun als oberste Instanz der Fachgerichte entschieden, und zwar gegen die Chefärzte. Dabei mag es auch ein wenig eine Rolle gespielt haben, dass die Chefärzte kommunaler Krankenhäuser allgemein als hochbezahlt gelten und oftmals noch Nebenverdienstmöglichkeiten durch Privatliquidation und Gutachten haben.
Das BAG hat entschieden, dass allgemein der Verweis in Arbeitsverträgen, die früher nach BAT anzupassen waren, jetzt nicht nach dem TV-Ärzte/VKA und ähnlichen Tarifverträgen des Marburger Bundes angepasst werden, sondern alleine nach den Regeln des TVöD.
Das BAG beginnt seine Auslegung nicht mit den üblichen Auslegungsregeln für Vertragswerke, sondern mit den Auslegungsregeln für Allgemeine Geschäftsbedingungen, für die etwas andere Regeln gelten. Das Gericht betont dann weiter, dass der TVöD zuerst dagewesen sei und der nachfolgende TV-Ärzte/VKA dann nicht zu einer „Zweitersetzung“ geführt habe. Außerdem sei der TV-Ärzte/VKA nicht der „speziellere“ Tarifvertrag. Zum einen gelte der TV-Ärzte/VKA gar nicht direkt für Chefärzte, zum anderen habe der TV-Ärzte/VKA gegenüber dem BAT ein völlig neues Vergütungssystem geschaffen. Dem Vergütungssystem des BAT entspreche eher dem TVöD.
Zum Schluß führt das Gericht aus, es gäbe auch keinen allgemeinen Grundsatz, dass der Chefarzt als Vorgesetzter mehr Geld verdienen müsse, als die leitenden Oberärzte, seine Untergebenen.
Klagen auf eine Vertragsanpassung, die auf eine Vergütung nach den TV-Ärzte/VKA zielen, haben nach dieser Entscheidung keine nennenswerten Erfolgsaussichten mehr, da wenig Chancen bestehen, dieses negative Ergebnis über das Verfassungsgericht oder europäische Gerichte (etwa den EGMR) zu korrigieren.
Die Frage ist nun, welche Konsequenz daraus zu ziehen ist. Wo das Recht versagt, bleibt den Chefärzten nichts anderes übrig, als entweder mit individuellen Vertragsverhandlungen oder aber mit quasi „gewerkschaftlichen“ Mitteln für ihre finanziellen Rechte zu kämpfen. Es ist schon ein sehr eigenartiges Ergebnis, dass ein Tarifvertrag (TVöD) zur Auslegung der Arbeitsverträge von Chefärzten herangezogen wird, der bei Arbeitsverhältnissen von Ärzten keine oder keine nennenswerte Rolle gespielt hat und eigentlich für anderes Krankenhauspersonal geschaffen war.
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