Aufhebung der Ernennung eines Gerichtspräsidenten im Konkurrentenstreit, Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.11.2010 (mit Kommentar)

Die Beförderung eines Richters oder Beamten in ein höheres Amt kann von einem unterlegenen Mitbewerber vor den Verwaltungsgerichten mit Erfolg angefochten werden, wenn der Dienstherr den ausgewählten Bewerber unter Verletzung des Grundrechts des Mitbewerbers auf wirkungsvollen Rechtsschutz ernannt hat. Der Grundsatz der Ämterstabilität steht dem nicht entgegen. Die Klage hat Erfolg, wenn die Bewerberauswahl Rechte des Mitbewerbers verletzt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

In dem zu entscheidenden Verfahren hatten sich der Kläger als Präsident eines Landgerichts und der Beigeladene als damaliger Präsident des Landessozialgerichts um das höher eingestufte Amt des Präsidenten des Oberlandesgerichts beworben. Der Justizminister entschied sich für den Beigeladenen.

Der Antrag des Klägers, dem Beklagten die Ernennung des Beigeladenen zum Präsidenten des Oberlandesgerichts durch einstweilige Anordnung zu untersagen, blieb in beiden verwaltungsgerichtlichen Instanzen erfolglos. Der Kläger hatte dem Beklagten mitgeteilt, er werde bei nachteiligem Ausgang des Verfahrens das Bundesverfassungsgericht anrufen. Unmittelbar nach Eingang der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Justizministerium händigte der Justizminister dem Beigeladenen die Ernennungsurkunde aus.

Das Bundesverwaltungsgericht hat der in den Vorinstanzen erfolglosen Klage stattgegeben. Es hat die Ernennung des Beigeladenen mit Wirkung ab Zustellung des Urteils aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, das Amt des Präsidenten des Oberlandesgerichts aufgrund eines neuen Auswahlverfahrens zu vergeben. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Ernennt der Dienstherr den ausgewählten Bewerber, bevor unterlegene Bewerber die Möglichkeiten der gerichtlichen Nachprüfung ausgeschöpft haben, so verletzt er deren Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz. Bei derartiger Rechtsschutzvereitelung können die Rechte der unterlegenen Bewerber auf gerichtliche Nachprüfung der Bewerberauswahl nur durch eine Klage gegen die Ernennung gewahrt werden. Daher muss in Fällen dieser Art der Grundsatz der Ämterstabilität, nach dem die Vergabe eines Amtes rechtsbeständig ist, zurückstehen.

Die hier getroffene Auswahlentscheidung des Beklagten hat das grundrechtlich gewährleistete Recht des Klägers auf eine sachgerechte, allein an Leistungsgesichtspunkten orientierte Entscheidung über seine Bewerbung verletzt. Insbesondere hat der Beklagte die Auswahl des Beigeladenen auf nicht tragfähige Erkenntnisse gestützt. Er durfte dem Beigeladenen nicht bereits aufgrund statistischer Angaben über die Arbeitsergebnisse der Sozialgerichtsbarkeit des Landes in dessen Amtszeit und aufgrund der Eindrücke des Justizministers bei den Tagungen der Oberpräsidenten den Vorzug geben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die neue Rechtsprechung, wonach Ernennungen nicht mehr ohne jede Ausnahme rechtsbeständig sind, bereits im vorliegenden Fall angewandt. Das Vertrauen des Beigeladenen in die Rechtsbeständigkeit seiner Ernennung ist nach Abwägung der gegenläufigen Interessen nicht schutzwürdig. Zwar hat der Beigeladene aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens des Beklagten erhebliche Nachteile zu tragen. Seinen Anspruch auf amtsangemessene Beschäftigung kann der Beklagte nicht mehr erfüllen, weil die einzige Stelle des Präsidenten des Landessozialgerichts bereits anderweitig besetzt ist. Jedoch ist der Beklagte aufgrund seiner Fürsorgepflicht gehalten, die Folgen für den Beigeladenen so weit als möglich auszugleichen. Er kann den Beigeladenen mit dessen Zustimmung in ein anderes gleichwertiges Amt versetzen. Der Beigeladene kann sich erneut um das Amt des Präsidenten des Oberlandesgerichts bewerben.

 

BVerwG 2 C 16.09 – Urteil vom 4. November 2010

Vorinstanzen:
OVG Koblenz, 10 A 10805/08 – Urteil vom 30. Januar 2009 –
VG Koblenz, 6 K 1816/07.KO – Urteil vom 1. Juli 2008 –

 

Kurzkommentar:

Mit seiner Entscheidung revolutioniert das Bundesverwaltungsgericht das Beamtenrecht. Einerseits wird die noch junge Rechtsprechung des Senats aufgegeben, wonach bei Ämtern, die vielfach vorkommen, eine Einweisung in eine noch zu schaffende Planstelle durch das Gericht verfügt werden kann. Dies ist zu begrüßen und schafft Klarheit über die Personalplanung und -hoheit für alle Beteiligten.

Andererseits wird nun aber die Verletzung des Rechte eines Konkurrenten scharf „sanktioniert“. Dieser soll nicht nur auf einen Schadensersatzanspruch verwiesen werden können, sondern sogar die Ernennung des anderen Mitbewerbers direkt angreifen können. Die Ernennung sei – so der Senat – als Verwaltungsakt mit Doppelwirkung zu qualifizieren und dürfe daher auch direkt angefochten werden.

Dies wirft zahlreiche Folgeprobleme für den betroffenen Mitbewerber auf: dieser hatte – im konkreten Fall über dreieinhalb – Jahre lang das erstrebte Amt inne und war in den Dienstposten eingewiesen. Wird die Ernennung und Einweisung nun mit Zustellung des Urteils aufgehoben, „fällt“ er quasi in sein altes, bisheriges Amt zurück. Dieses steht aber nicht mehr zur Verfügung, da es zwischenzeitlich nachbesetzt wurde. Gleichzeitig hat der Betroffene aber einen Anspruch auf „amtsangemessene Beschäftigung“. Auch ist sein Vertrauen möglicherweise durch die neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts enttäuscht worden, da er bislang um die Aufhebung der Ernennung nicht bangen musste.

Indem das Bundesverwaltungsgericht somit die Ämterstabilität gegen den Rechtsschutz des unterlegenen Bewerbers abgewogen und dem Rechtsschutz zur Stärkung verholfen hat, hat es nur eine Frage beantwortet. Eine Vielzahl neuer Fragen ist aufgeworfen und – zunächst – unbeantwortet geblieben. So unter anderem:

1. Wenn -wie in der mündlichen Verhandlung geschehen- die Auswahlentscheidung und Ernennung des zunächst erfolgreichen Konkurrenten als Verwaltungsakt mit drittbelastender Wirkung ansieht, kann dann im Konkurrentenschutz zukünftig noch ein Antrag nach § 123 VwGO gestellt werden oder es sind zukünftig Anträge allein nach § 80a VwGO zulässig?

2. Gibt es überhaupt noch ein Rechtsschutzinteresse für ein Eilverfahren, wenn ein späteres Hauptsacheverfahren ausreicht und geeignet ist, die ursprüngliche Konkurrentenernennung rückgängig zu machen?

3. Steht ab der jetzigen Entscheidung des BVerwG jede Ernennung unter dem Vorbehalt einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren (Klageverfahren) oder gilt dies ausschließlich in den Fällen, in denen nach Auffassung des Gerichts gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen wurde?

4. Wenn nach einer anderen Entscheidung des BVerwG (25.02.2010 -2 C 22/09) der Bewerbungsverfahrensanspruch auch für Einstellungsbewerber gilt, wäre dann bei Klägern, die ursprünglich nicht in das Beamtenverhältnis übernommen wurden, die Rückgängigmachung der Verbeamtung eines Konkurrenten zulässig?

5. Hat das BVerwG tatsächlich hinreichend die Grundrechte des von ihm aus dem Dienst entfernten Beamten (Richters) Rechnung getragen oder ist nicht auch dessen Position verfassungsrechtlich oder gar europarechtlich geschützt?

6. Stellt die Entfernung eines Richters aus seinem Amt ohne konkrete gesetzliche Eingriffsnorm nicht einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlich geschützte Freiheit des Richters und die Garantie des gesetzlichen Richters dar?

7. Welche Dienstbezüge soll der vom BVerwG aus dem Dienst entfernte Richter (Beamte) zukünftig erhalten? Wird er nach einem gerichtlichen Obsiegen des Konkurrentens nur aus seinem Amt im funktionellen Sinne oder auch aus dem besoldungsrechtlichen Statusamt entfernt?

8. Falls er auch seinen besoldungsrechtlichen Status verliert: Hat er möglicherweise einen Schadensersatzanspruch gegen seinen Dienstherrn, wenn er ohne eigenes Verschulden von seinem Dienstherrn in die Situation gebracht wurde, sein Amt wieder zu verlieren?

9. Wie kann der Anspruch auf statusgerechte Beschäftigung gewährleistet werden, wenn das frühere (gerichtliche) Amt, in dem der vom Verwaltungsgericht aus seiner neuen Funktion entfernte Richter tätig war, mittlerweile anderweitig neu besetzt ist?

Alles in allem lässt sich feststellen, dass die Entscheidung des BVerwG viele neue Fragen aufgeworfen hat. Erste Hinweise wird man den gerichtlichen Urteilsgründen im vorliegenden Verfahren entnehmen können, die bislang nicht vorliegen. Sie werden für Mitte Dezember 2010 erwartet.

 

Rechtsanwalt Dr. Obst

Rechtsanwalt Robert Hotstegs