Arbeitszeitverordnung des Bundes europarechtswidrig, Oberverwaltungsgericht NRW, Beschluss v. 08.05.2019, Az. 1 A 713/16

Im konkreten Fall hatte ein Feuerwehrbeamter der Bundeswehr mindestens elf Jahre lang Überstunden geleistet. Die Überschreitung der regelmäßigen Arbeitszeit war durch die Vorgesetzten angeordnet worden. Die Bundeswehr vergütete dies nur teilweise, sodass der Beamte seine Ansprüche seit 2012 vor den Verwaltungsgerichten weiterverfolgte.

Die Gerichte wiesen die Klage ab, soweit der Feuerwehrbeamte alte Ansprüche aus den Jahren 2002 bis 2011 verfolgte. Diese Ansprüche habe er nicht hinreichend schriftlich geltend gemacht. Die Ansprüche ab 2012 stünden ihm aber zu. Während das Verwaltungsgericht hierfür einen Wert von 220,- € ansetzte, geht das Oberverwaltungsgericht von dem sechsfachen Betrag aus.

Die Bundeswehr erkannte die Forderung des Beamten schließlich an. Im Rahmen des Einstellungsbeschlusses legt das Gericht nun erstmalig dar, dass die Arbeitszeitverordnung des Bundes gegen Europarecht verstößt. Der von der EU geforderte Mindestschutz für Arbeitnehmer sei nicht gewahrt. Den betroffenen Beamten stünde eine höhere Abgeltung als Schadensersatz zu.

Der Einstellungsbeschluss lautet im Volltext:

    Das Verfahren wird eingestellt.

    Das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 3. März 2016 – 1 K 2312/12 – ist wirkungslos, soweit es nicht nach dem Zulassungsbeschluss des Senats vom 19. August 2016 rechtskräftig geworden ist.

    Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden – unter Einbeziehung der teilweise rechtskräftig gewordenen Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts – dem Kläger auferlegt.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

    Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf die Wertstufe bis 2.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Das Verfahren ist durch übereinstimmende Erledigungserklärungen des Klägers vom 3. Mai 2019 und der Beklagten vom 29. April 2019 in der Hauptsache erledigt. Es ist deshalb zur Klarstellung in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Ferner ist das angefochtene Urteil entsprechend § 173 Satz 1 i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO für wirkungslos zu erklären, soweit es nicht nach dem Zulassungsbeschluss des Senats vom 19. August 2016 rechtskräftig geworden ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Bei der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Verfahrenskosten zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten des erstinstanzllchen Verfahrens – unter Einbeziehung der teilweise rechtskräftig gewordenen Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts – dem Kläger und die des Berufungsverfahrens der Beklagten aufzuerlegen. Im erstinstanzlichen Verfahren ist der Kläger gemessen an seinem ursprünglichen Begehren (Ausgleich für im Zeitraum vom 1. März 2002 bis 31. März 2013 seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden übersteigende Dienstzeiten) zum ganz überwiegenden Teil und die Beklagte nur zu einem geringfügigen und bei der Kostenverteilung zu vernachlässigenden Teil unterlegen. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte dem Begehren des Klägers, das nur noch auf einen Ausgleich für im Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis 31. März 2013 über 48 Stunden pro Woche hinausgehende Dienstzeiten gerichtet war, mit der im Schriftsatz vom 29. April 2019 abgegebenen Erklärung in vollem Umfang entsprochen und sich damit freiwillig in die Position des Unterlegenen begeben.

Ungeachtet dessen spricht Vieles dafür, dass die Berufung des Klägers Erfolg gehabt hätte, da ihm ein unionsrechtlicher Entschädigungsanspruch auf einen vollumfänglichen Ausgleich auch der Bereitschaftsdienstzeiten, die über 48 Stunden pro Siebentageszeitraum hinausgingen, zusteht. Denn die Ableistung der die Grenze von 48 Stunden pro Woche übersteigenden Arbeitsstunden verstößt gegen die Vorgaben aus Art. 6 Buchst. b) der RL 2003/88/EG, dessen Anwendung nicht durch § 13 Abs. 1 und 2 AZV unionsrechtkonform ausgeschlossen wird. Ein solcher Ausschluss ist auf der Grundlage von Art. 22 RL 2003/88/EG zwar möglich. Die dort genannten Voraussetzungen werden indes nicht sämtlich in § 13 Abs. 1 und 2 AZV erfüllt. Nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) RL 2003/88 EG muss der Mitgliedstaat dafür Sorge tragen, dass kein Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer verlangt, im Durchschnitt des in Art. 16 Buchst. b) genannten Bezugszeitraums mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentageszeitraums Zu arbeiten, es sei denn, der Arbeitnehmer hat sich hierzu bereit erklärt. Diese Bestimmung legt einen Mindestschutz fest, der Voraussetzung ist, um Art. 6 Buchst. b) RL 2003/88/EG unangewendet zu lassen. Diese stets für ein sog. „opt-out“ zu garantierenden Anforderungen setzt § 13 Abs. 1 AZV nicht unionrechtskonform um. Der dort im Rahmen der Gewährleistung des Mindestschutzes festgelegte Bezugszeitraum von zwölf Monaten findet in der Richtlinie (offensichtlich) keine Stütze. Dabei kann offen bleiben, ob der in Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) enthaltene Verweis auf den in Art. 16 Buchst. b) RL 2003/88/EG genannten Bezugszeitraum so zu verstehen ist, dass der Bezugszeitraum generell und unabhängig von den in Art. 17 ff. RL 2003/88/EG insoweit vorgesehenen Ausnahmen nicht mit mehr als vier Monaten bemessen werden darf. Jedenfalls ist die hier in § 13 Abs. 1 AZV (und auch in § 3 Abs. 5 AZV) enthaltene Bestimmung eines Bezugszeitraums auf zwölf Monate unzulässig. Einen derart langen Bezugszeitraum sieht allein Art. 19 Abs. 2 RL 2003/88/EG vor, dessen Anwendung jedoch auf Tarifverträge oder Vereinbarungen zwischen Sozialpartnern beschränkt ist. Hierunter fällt die einseitige Bestimmung von Bezugszeiträumen im Verordnungswege durch den Bund als Dienstherrn (offensichtlich) nicht. Auf die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 20. Juli 2017-2 C 35.16 – erörterte Frage, ob es einer Festlegung eines Bezugszeitraums für den Fall einer freiwilligen Überschreitung der Höchstarbeitszeit von wöchentlich 48 Stunden und deren Berechnung bedarf, kommt es hier nicht entscheidungserheblich an, da es bereits – wie dargestellt – an einer unionsrechtskonformen Implementierung des nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) RL 2003/188/EG erforderlichen Mindestschutzes als Voraussetzungen für die Nichtanwendung von Art. 6 Buchst. b) RL 2003/88/EG fehlt.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG und orientiert sich an dem von der Beklagten im Schriftsatz vom 29. April 2019 angeführten Entschädigungsbetrag von 1.297,86 Euro zuzüglich ab Rechtshängigkeit bzw. jeweiliger Fälligkeit zu zahlender Zinsen.

Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach § 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.