Der Ausgangsrechtsstreit war schon interessant genug, aber auch die neueste Wendung schreibt Rechtsgeschichte: ein Rechtsanwalt verlangte vom Verwaltungsgericht ein Telefonverzeichnis der Geschäftsstellen und Richter/innen zu erhalten. Hierüber hatte – wie passend – das Verwaltungsgericht Aachen zu entscheiden und gab dem Rechtsanwalt recht ohne die Berufung zuzulassen. Hiergegen stellte die Gerichtsleitung einen Antrag auf Zulassung der Berufung und ließ sich von Richtern, die in der Verwaltung eingesetzt waren, vertreten. Dies ist aber unzulässig. Die Richter sind als Bevollmächtigte zurückzuweisen – sagt das Oberverwaltungsgericht.
Und so haben auch wir nun erstmalig die Zurückweisung von Richtern als Prozessvertreter beantragt. In unserem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Az. 13 D 27/14) handelt es sich nämlich um eine typische Konstellation, in der das Land bislang auf Richter als Prozessvertreter zurückgreift: es geht um eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer nach §§ 55, 173 VwGO i.V.m. § 198 GVG. Das Gesetz regelt dort nämlich:
„Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. […] Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung.“
Und so haben wir für eine Verfahrensdauer von 50 Monaten eine Entschädigung beantragt, der Durchschnitt der Verfahren dauert nämlich nur knapp 12 Monate. Hiervon wich „unser“ Verfahren also erheblich ab.
Gegen die Entschädigung verteidigt sich das beklagte Land und wird durch die Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts vertreten, die wiederum Richter ihrer Gerichtsverwaltung als Prozessvertreter auftreten lässt.
Nach unserer Auffassung ist diese – sehr typische – Praxis nicht mit der Verwaltungsgerichtsordnung vereinbar und die Prozessvertreter sind daher auch in allen Entschädigungsverfahren zurückzuweisen.
Die Argumentation ist dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 29.10.2014 im „Telefonverzeichnis“-Fall zu entnehmen:
Die Richter am Oberverwaltungsgericht A und B werden als Prozessvertreter der den Beklagten vertretenden Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zurückgewiesen.
Gründe:
Die Richter am Oberverwaltungsgericht, die bislang die Prozessvertretung für die vertretungsberechtigte Behörde des beklagten Landes wahrgenommen haben, sind nach § 67 Abs. 5 Satz 3 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO zurückzuweisen. Ihnen fehlt gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Vertretungsbefugnis. Nach dieser Vorschrift dürfen Richter nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören.
Die Voraussetzungen für das Eingreifen dieses Vertretungsverbots sind vorliegend erfüllt. Die zurückgewiesenen Richter treten als Bevollmächtigte in einem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht auf, dem sie selbst als Richter angehören. Richter sind auch dann Bevollmächtigte im Sinne der genannten Regelung, wenn sie in ihrer Eigenschaft als Angehörige der Gerichtsverwaltung die Prozessvertretung für den Präsidenten bzw. die Präsidentin ihres Gerichts, dessen/deren Behörde das verfahrensbeteiligte Land als Behörde zu vertreten hat, wahrnehmen. Dem engeren Verständnis des Beklagten, wonach nur ein durch Rechtsgeschäft Bevollmächtigter erfasst und das Behördenprivileg des § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht eingeschränkt werden soll, folgt der Senat nicht.
Der Begriff des Bevollmächtigten ist für eine Auslegung offen, die jeden Prozessvertreter einschließt, der die Schriftsätze für einen Beteiligten verfasst und die Vertretung im Termin wahrnimmt. Dass eigene Bedienstete, die eine Behörde im Gerichtsverfahren vertreten, keiner Prozessvollmacht im üblichen Sinne bedürfen mögen,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. März 1993 – 4 B 253.92 -, NVwZ 1994, 266, juris, Rn. 16; Hartung, in: Posser/Wolf, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 67 Rn. 62, 62a; anders nunmehr Hauck, jurisPR-SozR 18/2008, Anm. 4 I. 2 c); siehe auch BT-Drs. 16/3655, S. 95, 97,
steht ihrer Eigenschaft als „Bevollmächtigte“ nicht entgegen.
Vgl. BVerwG, Gerichtsbescheid vom 10. Juni 1997 ‑ 11 A 10.97 -, Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 89, juris Rn. 27 ff. zu § 85 Abs. 2 ZPO; Urteil vom 21. März 2005 – 7 C 13.04 -, NJW 2005, 1962, juris, Rn. 26 f.
Der systematische Zusammenhang der Vorschriften über die Prozessvertretung deutet darauf hin, dass der Begriff des Bevollmächtigten in § 67 Abs. 5 VwGO in dem oben ausgeführten umfassenden Sinne zu verstehen ist. Wie vor allem § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VwGO zeigt, handelt es sich dabei um einen Oberbegriff, der die erleichterte Vertretung von Behörden durch eigene Bedienstete einschließt. Diese Möglichkeit ist auch für Behörden bereits in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 1. Halbsatz VwGO („Beschäftigte eines Beteiligten“) geregelt. Auch Prozessvertreter von Behörden werden somit nach dieser für die Vertretung vor dem Verwaltungsgericht getroffenen klaren Regelung „als Bevollmächtigte“ tätig. Es besteht kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass in Verfahren mit Vertretungszwang, für die § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO Anwendung findet, etwas anderes gelten könnte.
Entscheidend sprechen Sinn und Zweck des § 67 Abs. 5 VwGO für eine Anwendung des darin geregelten Vertretungsverbots auf jeden Prozessvertreter, der (Berufs‑)Richter ist. Durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2840) wurde eine derartige Regelung in alle Verfahrensordnungen aufgenommen. Mit der angeordneten Trennung von Richtertätigkeit und Prozessvertretung sollen der Anschein einer Voreingenommenheit des Gerichts vermieden und Interessenkollisionen von vornherein ausgeschlossen werden. § 67 Abs. 5 Satz 1 VwGO verbietet dem Berufsrichter eine Prozessvertretung in allen Verfahren vor dem gesamten Gericht, dem der Richter angehört.
Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 89 f., 98.
Der genannte Schutzzweck greift unabhängig davon ein, ob der Richter eine private Partei oder seine Gerichtsverwaltung (und letztlich seinen Dienstherrn) vertritt. Das Bedürfnis, den Anschein einer Voreingenommenheit des Gerichts zu vermeiden und Interessenkollisionen von vornherein auszuschließen, hängt auch offensichtlich nicht davon ab, ob der Prozessvertretung eine ausdrückliche Prozessvollmacht zugrunde liegt. Die Unvereinbarkeitsregelung will allgemein ausschließen, dass ein Richter vor Gericht fremde Rechtsangelegenheiten unmittelbar vertritt, über die die eigenen Richterkollegen entscheiden, die ihm nicht selten in regelmäßiger, gleichgeordneter Zusammenarbeit verbunden sind und im Extremfall sogar demselben (überbesetzten) Spruchkörper angehören könnten. Damit soll bei den anderen Beteiligten von vornherein der Eindruck vermieden werden, das Gericht entscheide möglicherweise nicht unbefangen, und die prozessuale Waffengleichheit könne beeinträchtigt sein. Zugleich werden die Voraussetzungen dafür verbessert, dass die Entscheidung frei von sachwidrigen Einflüssen ergeht. Dieser Zweck tritt in Rechtsstreitigkeiten, in denen der Präsident des erkennenden Gerichts als Behörde unmittelbar beteiligt oder vertretungsbefugt ist und die Prozessvertretung durch einen der Gerichtsverwaltung angehörenden Richter wahrnehmen lässt, nicht zurück, sondern gewinnt eher noch an Bedeutung. Eine Privilegierung der Gerichtsverwaltungen bei der Anwendung von § 67 Abs. 5 VwGO scheidet daher aus. § 67 Abs. 5 VwGO ist gegenüber § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO die speziellere Vorschrift und schränkt diesen in einer eng umgrenzten, seltenen Fallgestaltung ein.
Dass damit in Verfahren mit Vertretungszwang – soweit die Vertretung des betroffenen Gerichtspräsidenten nicht durch einen postulationsfähigen nichtrichterlichen Beschäftigten übernommen werden kann oder soll – die Beauftragung eines externen Prozessbevollmächtigten erforderlich wird, nimmt das Gesetz für die in Rede stehenden seltenen Fälle in Kauf. Ein anderes Ergebnis kann auch nicht aus der in § 67 Abs. 5 Satz 2 VwGO enthaltenen Ausnahme von dem – ohnehin weniger weitreichenden – Vertretungsverbot für ehrenamtliche Richter abgeleitet werden. Danach bleiben ehrenamtliche Richter berechtigt, ihren Arbeitgeber auch vor dem Spruchkörper, dem sie angehören, zu vertreten. In dieser vor allem mit Blick auf arbeits- und sozialgerichtliche Verfahren in allen Prozessordnungen ausgenommenen Fallgestaltung hat der Gesetzgeber es als unverhältnismäßig erachtet, wenn das Unternehmen für ein Gerichtsverfahren einen externen Prozessbevollmächtigten bestellen müsste, nur weil der – oftmals als einziger Beschäftigter des Unternehmens juristisch befähigte – Leiter der Personalabteilung zugleich ehrenamtlicher Richter ist. Dabei wurde ergänzend angeführt, dass es sich hierbei anders als in den Fällen der Vertretung durch Verbandsangehörige, die die Prozessvertretung ständig und hauptberuflich übernehmen, nicht um ein regelmäßiges Auftreten als Prozessvertreter vor dem Spruchkörper, dem der Bevollmächtigte angehört, handele.
Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 94, 98, 123.
Diese Ausnahme ist bereits für ihren unmittelbaren Anwendungsbereich umstritten, weil sie dem Schutzzweck des § 67 Abs. 5 VwGO zuwiderläuft.
Vgl. Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drs. 16/3655, S. 113; Schneider, in: Gärditz, VwGO, 2013, § 67 Rn. 12.
Sie kann ohne entsprechende gesetzliche Anordnung auf § 67 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht übertragen werden. Die beiden Fallgestaltungen sind im Übrigen auch nicht vollständig vergleichbar.