Der 11. Senat des Finanzgerichts Münster hat in einem erst jetzt veröffentlichten Urteil (vom 27. November 2013, Az. 11 K 2519/12 E) entschieden, dass auch Aufwendungen für einen verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erfolgt und aus Sicht eines verständigen Dritten Aussicht auf Erfolg bietet. Er hat damit die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu den Kosten eines Zivilverfahrens auf die Aufwendungen für ein Verwaltungsgerichtsverfahren übertragen. Das Urteil ist auf vergleichbare Fälle, in denen die Kosten bis zum 30.06.2013 entstanden sind, übertragbar.
Im Streitfall hatten sich die Kläger gegen eine ihrem Nachbarn erteilte Baugenehmigung gewendet, die sie für rechtswidrig hielten. Das Verwaltungsgericht teilte diese Auffassung, das Oberverwaltungsgericht war jedoch anderer Meinung. Das hiergegen vor dem Bundesverwaltungsgericht geführte Klageverfahren verloren die Kläger ebenfalls. Sie mussten daher sämtliche Verfahrenskosten (Rechtsanwalts- und Gerichtskosten) in Höhe von rund 17.500 EUR tragen. Diese Aufwendungen machten sie als außergewöhnliche Belastungen in ihrer Einkommensteuererklärung 2010 geltend. Das Finanzamt lehnte dies ab – zu Unrecht, wie der 11. Senat jetzt entschieden hat. Die Aufwendungen der Kläger für das verwaltungsgerichtliche Verfahren seien – so das Gericht – als zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG anzusehen. Dass die Kläger zur Durchsetzung ihrer Auffassung gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen hätten, sei nicht mutwillig gewesen. Ihre Klage habe – wie die erstinstanzliche Entscheidung zeige – auch Aussicht auf Erfolg gehabt.
Der 11. Senat hat zudem klargestellt, dass die im Jahr 2013 geschaffene gesetzliche Neuregelung des § 33 Abs. 2 EStG, nach der Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreites weitestgehend vom Abzug ausgeschlossen werden, im Streitfall keine Anwendung findet.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.
Im Volltext der Entscheidung heißt es u.a.:
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastungen), wird auf Antrag die ESt dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Die Rechtsanwalts- und Gerichtskosten in Höhe von … € sind dem Kl. zwangsläufig entstanden.
[…] Danach sind Kosten für einen Zivilprozess dann als zwangsläufig zu beurteilen, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat. Kosten eines Zivilprozesses sind auf Seiten des jeweiligen Klägers bzw. Beklagten bereits dann unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus der Sicht eines verständigen Dritten Aussicht auf Erfolg bietet (BFH-Urteil vom 12.05.2011 VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl. II 2011, 1015 unter Tz. 15). Maßgeblich sind demnach die Vorgaben, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen (vgl. Anm. Rosenke zum Urteil des FG München vom 20.04.2012 8 K 2190/09, Entscheidungen der Finanzgerichte, – EFG – 2013, 453).
Für den Streitfall folgt der Senat dieser neueren Rechtsprechung. […]
Im vorliegenden Rechtsstreit geht es allerdings nicht um die Kosten für einen Zivilprozess. Die vom BFH herausgestellten Grundsätze sind aber auch in den Fällen anzuwenden, in denen – wie im Streitfall – Kosten aus Anlass eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens betroffen sind. Grund für die geänderte Rechtsauffassung des BFH zur Auslegung des Merkmals der Zwangsläufigkeit in seinem Urteil vom 12.05.2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl. II 2011, 1015) ist der Ausgangspunkt, dass sich im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol streitige Ansprüche regelmäßig nur gerichtlich durchsetzen oder abwehren lassen. Zur gewaltfreien Lösung von Rechtsstreitigkeiten und Interessenkonflikten seien die Kontrahenten auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Dieser Gesichtspunkt gilt auch für Fälle eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Soweit es um Maßnahmen eines Trägers öffentlicher Verwaltung geht, kann von dem dadurch Betroffenen eine Korrektur letztlich nur mit gerichtlicher Hilfe begehrt werden. Das vom BFH in seiner Entscheidung vom 12.05.2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl. II 2011, 1015) betonte staatliche Gewaltmonopol, nach dem zivilrechtliche An-sprüche nur mit Hilfe von Gerichten durchzusetzen oder abzuwehren sind, muss demgemäß auch bei der Durchsetzung von Ansprüchen bzw. Abwehrmaßnahmen im öffentlich-rechtlichen Bereich gelten (vgl. Urteil des FG Düsseldorf vom 14.01.2013 11 K 1633/12 E, EFG 2013, 701, Anm. Trossen EFG 2013, 43, zum Urteil des FG Hamburg vom 24.09.2012 1 K 195/11, EFG 2013, 41).
Nach diesen Vorgaben sind im Streitfall die Kosten für die Bezahlung der Rechtsanwälte und der Gerichtskosten aus Anlass der Auseinandersetzungen mit dem Nachbarn wegen des auf dessen Grundstück errichteten Bauvorhabens als zwangsläufig anzusehen. Dass Hilfe des Verwaltungsgerichts in Anspruch genommen wurde, war nicht mutwillig. Der Kl. hatte sich gegen ein Bauvorhaben seines Nachbarn gewandt, welches seiner Auffassung nach nicht gesetzeskonform genehmigt war. Gegenüber dem früheren Eigentümer hatte er in den Vorjahren bereits ein verwaltungsgerichtliches Urteil er-stritten, nach dem das Bauvorhaben rechtswidrig war. Dieses Urteil war auch in Rechtskraft erwachsen.
Nachdem das Eigentum an dem Nachbargrundstück auf eine andere Person übergegangen war, war der Kl. gegenüber der von der Baubehörde nunmehr nochmals erteilten Genehmigung erneut vorgegangen. Angesichts des Umstands, dass seine Rechtsauffassung hinsichtlich der dem Vorgänger erteilten Genehmigung als nicht rechtmäßig bestätigt war, kann nicht davon gesprochen werden, dass sein erneutes Vorgehen unter Zurhilfenahme des Gerichts mutwillig gewesen ist.
Für die Inanspruchnahme der Hilfe durch das Verwaltungsgericht hatten auch hinreichende Erfolgsaussichten bestanden. Zumindest hatte in der ersten Instanz das Verwaltungsgericht N. die Rechtsauffassung des Kl. bestätigt.
Der Höhe nach sind die Rechtsanwalts- und Gerichtskosten mit … € anzusetzen. Hierüber besteht kein Streit.
Soweit zum heutigen Zeitpunkt die Gesetzesvorschrift zu den nach § 33 EStG abzugsfähigen außergewöhnlichen Belastungen geändert worden ist, hat dies auf die Beurteilung des Streitfalls keinen Einfluss. In Abs. 2 des § 33 EStG ist durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilfe-Richtlinie-Umsetzungsgesetz – Amtshilfe RLUmsG – vom 26.06.2013 (BGBl. 2013, 1809) nach Artikel 2 Nr. 16 folgender Satz 4 angefügt worden: Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) sind vom Abzug ausgeschlossen, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Diese Vorschrift gilt aber nach Art. 31 des vorgenannten Gesetzes erst seit dem Tag nach der Verkündung, d. h. seit dem 30.06.2013 (vgl. Juris). Da von dieser Gesetzesänderung keine Rückwirkung ausgeht, ist der Streitfall nach der Auslegung des Merkmals der Zwangsläufigkeit zu beurteilen, die bis dahin maßgeblich gewesen ist.