Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf beschäftigt sich ausführlich mit den Voraussetzungen einer Dienstunfallanerkennung in Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung. In der Vergangenheit wurden als Dienstunfall üblicherweise körperliche Erkrankungen eingestuft. Typisch ist die Konstellation eines Polizisten, der von einem Kriminellen angeschossen wurde oder der Fall eines Feuerwehrmanns, der während eines Einsatzes Brandverletzungen erleidet. Lange Zeit haben die Dienstvorgesetzten sogar in Zweifel gezogen, ob psychische Erkrankungen überhaupt einen Dienstunfall darstellen können. Die hier besprochene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf stellt nun klar, dass eine psychische Erkrankung durchaus einen Körperschaden i.S.d. § 31 Abs. 1 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) darstellen kann.
Der Sachverhalt, welcher der Entscheidung zu Grunde lag, liest sich auf den ersten Blick kurios. Ein Polizeibeamter bekam im Dienst von einem Kollegen eine E-Mail mit einer Powerpoint-Präsentation zugesandt, die offenbar harmlos anfing, dann aber sexuelle und ekelige Darstellungen enthielt. Der klagende Polizist machte geltend, dass er durch das ungewollte Betrachten dieser E-Mail einen langjährigen psychischen Schaden davongetragen habe. Er habe nämlich dadurch eine Zwangsstörung mit negativen Zwangsvorstellungen bekommen. Diese habe sich u.a. so geäußert, dass sein Sexualleben gestört und darum wiederum seine Ehe gescheitert sei. Außerdem sei er, obwohl vorher nie psychisch krank gewesen, dauerhaft traumatisiert und depressiv erkrankt. Während des gerichtlichen Verfahrens wurden umfassende psychiatrische Gutachten eingeholt, welche die Sicht des Beamten bestätigten.
Der eigenartige Anlass ist hier nicht der Grund zur inhaltlichen Besprechung des Urteils. Vielmehr gibt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf Anlass, grundsätzliche Fragestellungen in Zusammenhang mit dem Begriff des Dienstunfalls und der psychischen Erkrankung zu erörtern.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf geht zunächst vom Begriff des Dienstunfalls aus:
„Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist“.
Abzugrenzen ist also der Dienstunfall von schleichenden, „chronischen“ Vorgängen, die nicht aus einem einzelnen oder mehreren klar definierbaren Ereignissen bestehen. Dies ist insoweit von Bedeutung, als häufig Beamtinnen und Beamte über Mobbingsituationen am Arbeitsplatz klagen, ohne einzelne Ereignisse genau benennen zu können. Solche allgemeinen Klagen über länger andauernde Missstände erfüllen nicht die Voraussetzung eines plötzlichen, örtlich und zeitlich eingrenzbaren Ereignisses. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn einzelne besonders krasse Vorgänge einen Schockzustand auslösen und dieser Vorgang genau benannt werden kann. Dies kann etwa eine hemmungslose Beleidigung oder ein „Herunterputzen“ vor Kollegen oder auf einer Betriebsversammlung sein, sofern eine besondere Intensität festzustellen ist. Bei allgemeinen Missständen hingegen fehlt es an dem zeitlich bestimmten Ereignis.
Im vorliegenden Fall war das „Ereignis“ klar zu definieren, da nachträglich festgestellt werden konnte, wann die E-Mail übersandt und geöffnet wurde.
Dass die E-Mail keinen dienstlichen Charakter hatte, ist für die Anerkennung des Dienstunfalls ohne Bedeutung. Der Dienstunfall setzt keineswegs eine Diensthandlung oder einen dienstlichen Charakter voraus. Hier reicht es aus, dass ein dienstlicher Bezug da war, weil die E-Mail über den Dienstrechner kam und von einem Kollegen verschickt wurde. Wäre die E-Mail auf einem privaten E-Mail-Konto eingegangen und im privaten Bereich geöffnet worden, hätte voraussichtlich kein dienstlicher Bezug vorgelegen, der die Annahme eines Dienstunfalls rechnet.
Voraussetzung eines Dienstunfalls ist weiterhin, dass das schädigende Ereignis „auf äußerer Einwirkung beruht“. Dieses Merkmal mag lange Zeit der Grund dafür gewesen sein, dass man psychische Erkrankungen nicht als Dienstunfall einstufte. Instinktiv hat man offensichtlich nur die „fliegende Kugel“ oder den „herabfallenden Balken“ als äußere Einwirkung verstanden.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf verabschiedet sich hingegen von der Vorstellung eines von Außen den Körper des Beamten schädigenden Objektes. Ihm reicht alleine, dass irgendetwas von einem Dritten oder einer außenstehenden Sache auf den Beamten einwirkt. Sogar die eigene Handlung des Beamten, mit der er einer Gefahr ausweicht, könne eine solche äußere Einwirkung sein. Hier sei die ekelerregende Powerpoint-Präsentation eine solche äußere Einwirkung gewesen, die auf den Beamten eingewirkt hat. Die äußere Einwirkung kann daher auch virtueller Natur sein, eine körperliche Gewalteinwirkung ist nicht mehr zu verlangen.
Weiterhin muss ein Körperschaden i.S.d. § 31 Abs. 1 BeamtVG festgestellt werden. Auch hier ist der Begriff des Körperschadens wichtig:
„… ein Körperschaden liegt vor, wenn der physische oder psychische Zustand eines Menschen für eine bestimmte Mindestzeit ungünstig verändert ist. Es zählen sowohl innere wie äußere Verletzungen, auch innere und geistige Leiden dazu. Auf die Schwere des Körperschadens kommt es nicht an. Kleinere Körperschäden sind rechtserheblich, wenn der Schaden aus medizinischer Sicht Krankheitswert besitzt. Eine Behandlungsbedürftigkeit ist nicht erforderlich“.
Ein solcher Körperschaden könne auch, so führt das VG aus, eine psychische Erkrankung sein. Hier habe der erfahrene, sowohl neurologisch als auch psychiatrisch tätige Gutachter eine Zwangsstörung und eine depressive Störung festgestellt. Beide Erkrankungen treten typischerweise nebeneinander auf. Nach den diagnostischen Leitlinien läge diese Erkrankung vor, wenn mindestens in zwei Wochen an den meisten Tagen Zwangsgedanken oder -handlungen festzustellen seien. Dies sei heute zwar nicht mehr sicher festzustellen, aber auch nicht auszuschließen. Der Gutachter habe auch keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass der Kläger simuliere.
Auszuschließen sind aber -so das Verwaltungsgericht weiter- sogenannte „Gelegenheitsursachen“. Auch dieser Begriff wird vom Verwaltungsgericht definiert:
„Nicht Ursachen im Rechtssinne sind demnach sogn. Gelegenheitsursachen, d.h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht. Dies ist der Fall, wenn die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein alltäglich vorkommendes Ereignis zum selben Erfolg geführt hätte. Eine solche untergeordnete Bedeutung ist insbesondere auch dann anzunehmen, wenn das Ereignis gleichsam „der letzte Tropfen“ war, „der das Maß zum Überlaufen brachte bei einer Krankheit, die ohnehin ausgebrochen wäre, wenn ihre Zeit gekommen wäre.“
Hinsichtlich der Beweislast gilt, dass der Beamte die materielle Beweislast für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen trägt. Dabei gelten im Dienstunfallrecht grundsätzlich die allgemeinen Beweisgrundsätze. Der Beamte hat daher auch hinsichtlich des Nachweises des Kausalzusammenhanges den vollen Beweis zu erbringen („mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“)“.
Eine derartige Gelegenheitsursache, die den Ursachenzusammenhang zwischen dem dienstlichen Ereignis und dem Gesundheitsschaden zerreißt, ist etwa ein anlagebedingtes Leiden. Dies wäre bei psychischen Erkrankungen etwa dann der Fall, wenn eine gleiche oder ähnliche Erkrankung schon früher, vor dem dienstlichen Ereignis aufgetreten ist. Es ist also bei derartigen Dienstunfällen immer wichtig, zu dokumentieren, dass vorher weder eine psychische Erkrankung vorlag, noch eine solche behandelt wurde.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat in der besprochenen Entscheidung eine Gelegenheitsursache abgelehnt. Wichtig war ihm dabei, dass hier keine besondere Veranlagung oder Vorschädigung des Beamten festgestellt wurde. Das Verwaltungsgericht setzt sich auch mit dem Argument der Dienststelle auseinander, bei anderen Empfängern habe die E-Mail nicht zu Zwangsstörungen geführt und sie sei daher offenbar „nicht so schlimm“. Das Verwaltungsgericht sagt hierzu, dass alle Menschen unterschiedlich reagieren und auch schon einzelne Ereignisse psychische Erkrankungen auslösen können. Dies entspricht dem neuesten Stand der psychiatrischen Forschung. In dieser ist nämlich anerkannt, dass schwere Störungen, etwa posttraumatische Belastungsstörungen, nicht alle Personen in gleicher Weise betreffen, die eine gravierende Situation erleben. So kann es etwa bei einem Unfall, einer Entführung oder einem Überfall so sein, dass einzelne Opfer den Vorgang psychisch unbeschadet überstehen, während andere schwer geschädigt werden. Bei der Frage, ob ein traumatisierendes Ereignis -wie etwa jetzt der Untergang der Costa Concordia oder früher die Loveparade in Duisburg- eine psychische Erkrankung auslösen, spielt insbesondere eine Rolle, wie der Geschädigte familiär eingebettet ist, ob er zeitnah über die Vorgänge sprechen kann und ob er bereits traumatisierende Erlebnisse verarbeiten musste. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass scheinbar unspektakuläre Vorgänge traumatisierende Auswirkungen haben. Entscheidend ist lediglich, dass die Ursache überwiegend im äußeren Ereignis und nicht in der persönlichen Disposition des Geschädigten zu suchen ist.
Das Gericht führt weiter aus, dies seien letztlich medizinische Fachfragen. Genauso wenig, wie man die Verursachung eines Körperschadens alleine durch „allgemeine Lebenserfahrung“ feststellen könne, könne man auch ein in sich schlüssiges Sachverständigengutachten nicht mit „allgemeiner Lebenserfahrung“ in Zweifel ziehen. Darauf, dass ein Dienstunfall und seine Auswirkungen ungewöhnlich seien, komme es letztlich nicht an.
Damit war hier ein Dienstunfall festzustellen. Dies hat zum einen Auswirkungen für die direkten Behandlungskosten. Andererseits -und dies ist sogar die gravierendere Folge- ist die Anerkennung eines Dienstunfalls bei einer späteren Dienstunfähigkeit für ein erhöhtes Ruhegehalt wichtig. Zwar ist gesondert darüber zu entscheiden, ob der Dienstunfall eine dauerhafte Dienstunfähigkeit zur Folge hatte. Ohne eine Anerkennung des Dienstunfalls aber scheidet dies bereits im Ansatz aus. In derartigen Fällen hat also die Anerkennung einer psychischen Schädigung als Dienstunfall tendenziell gravierende wirtschaftliche Folgen. Diese können sich dauerhaft bis zur Höhe eines Drittels der Ruhestandsbezüge belaufen. Es macht also in vielen Fällen durchaus einen Sinn, die Frage eines Dienstunfalls rechtlich abzuklären. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, dass die rechtlichen Kriterien des Dienstunfalls dem beteiligten Prozessvertreter genau bekannt sind. Es kommt weiterhin darauf an, die schriftliche Dienstunfallmeldung so früh wie möglich abzugeben und die medizinischen und sonstige Beweise zu sichern.