Von Christian Lauenstein
Redet ein Anwalt, versteht der Laie nur StGB und BGB. Selbst kommt er kaum zu Wort, was den Advokaten nicht weiter schert. Eine Doktorandin belegt verheerende Folgen für Kanzleien: Wegen solcher Gesprächspannen nehmen viele Mandanten Reißaus.
Wenn Sie selbst Jurist sind, kennen Sie den wahrscheinlich schon:
Sagt der Angeklagte zum Rechtsanwalt: „Wenn ich mit einem halben Jahr davonkomme, bin ich zufrieden.“ Nach dem Prozess meint der Anwalt: „Das war ein hartes Stück Arbeit, die wollten Sie doch glatt freisprechen.“
Wäre das doch nur ein Scherz! In Tausenden deutschen Kanzleien reden täglich Anwälte mit ihren Mandanten, ohne dass der eine den anderen versteht. Gespräche drehen sich im Kreis und enden ohne Ergebnis.
Der Schriftsteller Georg M. Oswald, gelernter Jurist, schwärmte kürzlich im KarriereSPIEGEL-Interview von der poetischen Schönheit der Fachsprache. Sie sei „sehr, sehr kunstfähig, gedanklich sehr präzise. „Wie ein philosophischer Aufsatz“, sagte er, „man kann das als Anwalt genießen.“ Die Anwaltskundschaft genießt das eher nicht. Oswald weiß auch: „Es ist natürlich unsere Aufgabe, den Mandanten zu erklären, worum es geht.“
Sprache ist das Handwerkszeug der Juristen, ihre Waffe, ihr Broterwerb. Anwälte mögen Sprache, sie beschäftigen sich den ganzen Tag damit. Sie beraten, streiten, verhandeln. Sie veranstalten eigene Redewettbewerbe und eifern um das beste Plädoyer im Gerichtssaal. Nur um das Gespräch mit dem Mandanten haben sie sich bislang kaum geschert.
Die Kölner Sprachwissenschaftlerin Ina Pick, 29, hat ihre Doktorarbeit über die Kommunikation in der anwaltlichen Erstberatung geschrieben. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Anwälte begehen in der Gesprächsführung oft derart gravierende Fehler, dass sich so mancher Mandant am Ende nicht mehr blicken lässt.
Pick stieß auf das Thema, weil die Juristen eigentlich Besserung gelobt hatten. Seit 2003 sehen die Studienordnungen der Jurafakultäten den Erwerb von Schlüsselqualifikationen vor, etwa Rhetorik oder Gesprächsführung. Wer jedoch weiß, wie wichtig den Juristen die Noten ihrer Examina sind, der kann sich vorstellen, was der Satz „Das ist nicht klausurrelevant“ für solche Veranstaltungen bedeutet.
Pick startete einen Aufruf in Fachzeitschriften und fand so Anwälte, die sie bei ihrer Forschung unterstützen: Junge und alte, Einzelkämpfer und Großkanzleien, Strafverteidiger und Spezialisten für Insolvenzrecht. Dann zeichnete sie deren Mandantengespräche auf, um sie zu analysieren. Drei Probleme tauchten immer wieder auf:
1. Mandanten verstehen nicht, was Anwälte sagen
Zwar verzichten Juristen auf Fremdworte, ihre Sprache kommt harmlos deutsch daher. Wer jedoch schon mal als Laie versucht hat, auf Anhieb einen „Wolf-im-Schafspelz“-Paragraphen wie § 164 Absatz 2 BGB zu verstehen, dürfte sich voller Kopfweh abgewendet haben. Vor diesem Problem stehen auch die Anwälte. Zum Beispiel, wenn der Mandant nicht auf Anhieb begreift, was Juristen unter Fachbegriffen wie Totschlag, Schaden, Besitz oder einer Darlegungslast verstehen (Beispiel 1).
2. Anwälte verstehen nicht, was die Mandanten wollen
„Die Verwendung unbekannter Begriffe ist nicht das Hauptproblem“, sagt Pick. „Das ist zwar für beide Seiten unbefriedigend, hat aber selten negative Folgen.“ Viel gravierender sei es, dass Anwälte mit ihren Mandanten die Ziele oft nicht vernünftig klären oder gar nicht verstehen, was der Mandant eigentlich will (Beispiel 2).
So hatte ein Anwalt einen Lkw-Fahrer vor dem Führerscheinentzug bewahrt und stattdessen eine Geldstrafe herausgeschlagen. Der Kommentar des Mandanten: „Die Geldstrafe ist eigentlich viel schlimmer für mich.“
Hier hätte der Anwalt das Gespräch besser organisieren und die Ziele des Mandanten hinterfragen müssen. „Ein typisches Problem: Der Anwalt wirft einen Blick in seine Akte, für ihn ist die Sache klar. Vielleicht hat der Mandant aber ganz andere Vorstellungen“, so Pick. Dazu gehöre auch, dass der Anwalt die Anliegen des Mandanten ernst nimmt und ihn in das Gespräch einbindet (Beispiel 3).
Aber warum sagt der Mandant nicht einfach, was er will? Pick: „Ein Laie ist beim Besuch des Anwalts aufgeregt und auch fachlich in einer schwächeren Position, er weiß nicht, was rechtlich möglich ist. Deshalb überlässt er es dem Anwalt, sein eigentliches Anliegen zu formulieren.“ Was häufig schiefgeht. „Ich fand in meinen Aufzeichnungen auffällig, dass in vielen einstündigen Beratungsgesprächen der Mandant lediglich knapp sieben Minuten für die Sachverhaltsdarstellung zur Verfügung hatte“, sagt Pick (Beispiel 4).
3. Gespräche drehen sich im Kreis
Die Schleifenbildung ist oft die frustrierende Folge: Je weniger man sich versteht, desto häufiger wiederholen sich die Inhalte. Vor allem dann, wenn der Anwalt nicht erklärt, wo er mit seinen Fragen hin will (Beispiel 5). Oder wenn die Beteiligten einen Sachverhalt unterschiedlich bewerten.
Ein Fall: Anwalt und Mandant sind sich einig, keinen Prozess gegen einen lärmenden Nachbarn führen zu wollen. Der Anwalt sieht keine Erfolgschancen, der Mandant will keinen Streit. Über diese Motive reden sie nicht.
Wenn sich die Meinung des Mandanten dann plötzlich ändert, etwa weil der Nachbar neuerdings immer sonntags den Rasen mäht, dann haben Anwalt und Mandant ein Problem. Weil der Mandant nicht versteht, warum der Anwalt keinen Prozess führen will, obwohl er ihn doch dafür bezahlt.
Robert Hotstegs kennt solche Sorgen. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt hat mit viel Engagement an Picks Studie teilgenommen, in seiner Kanzlei 40 Mandantengespräche aufzeichnen lassen und schon Lehren gezogen. Sein neues Credo: „Den Mandanten ausreden lassen! Egal, ob er zwei oder zwanzig Minuten braucht.“
Simpler Rat: Ausreden lassen ist ein guter Anfang
Hotstegs räumt ein: „Das fällt mir nicht immer leicht. Ich neige wie viele Kollegen dazu, selbst viel zu reden.“ Aber das Ausredenlassen lohne sich, die Mandanten seien zufriedener, fühlten sich ernster genommen.
Pick bestätigt das. Auf Band hat sie einen Fall, in dem ein älterer Anwalt einen Mandanten mit glänzenden Aussichten betreute. Doch nach dem ersten Gespräch meldete sich der Mandant nie wieder – weil er beim Anwalt kaum zu Wort gekommen war.
So kann es nicht weitergehen, findet Hotstegs. Anwälte müssten dringend an ihrer Kommunikation mit Mandanten arbeiten: „Juristen können mit zwei Spitzenexamina in den Beruf starten, ohne jemals auch nur eine Minute mit einem Mandanten gesprochen zu haben. Das müssen wir ändern.“ Andere Berufsgruppen seien da deutlich weiter, etwa Ärzte.
Hotstegs sagt Pick und ihren Forschungsergebnissen goldene Zeiten voraus: Der Beratungsbedarf im Kreise der Anwälte sei riesig. Da trifft es sich gut, dass Pick bereits neue Pläne hat. Als Nächstes will sie ein Buch schreiben. Einen Gesprächsberater für Anwälte.