„Was lange währt, wird endlich gut!“, Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss v. 18.08.2010, Az. 31 K 2315/10.O

VG Düsseldorf zur vorläufigen Einbehaltung von Dienstbezügen in überlangen Disziplinarverfahren

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 18.08.2010 (Az. 31 K 2315/10.O) entschieden, dass die vorläufige Einbehaltung von Dienstbezügen gem. § 92 DO NRW (ab 2005: § 38 LDG NRW) aufzuheben ist, wenn sie allein aufgrund der überlangen Dauer des Disziplinarverfahrens gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.

„Die Anordnung der teilweisen Einbehaltung von Bezügen gemäß § 92 DO hat nicht den Charakter einer Disziplinarmaßnahme, sondern ist eine vorläufige Maßnahme zur vorübergehenden Ordnung eines Zustands, der erst endgültig auf Grund eines einen längeren Zeitraum beanspruchenden förmlichen Verfahrens geregelt wird. Dabei wird von Amts wegen und ohne bestandskräftige Feststellung eines pflichtwidrigen Verhaltens in eine Rechtsposition eingegriffen.“ „„Was lange währt, wird endlich gut!“, Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss v. 18.08.2010, Az. 31 K 2315/10.O“ weiterlesen

Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 09.06.2010, Az. 5 AZR 122/09

„Wer Recht mit Gerechtigkeit gleichsetzt, hat Unrecht“
(c) Helga Schaeferling, geb. *1957

 

Seit kurzem liegt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 09.06.2010 in dem Verfahren 5 AZR 122/09 schriftlich vor. Dort ging es um die Klage eines Chefarztes gegen seinen Arbeitgeber (seine Klinik), mit dem er ein höheres Gehalt erstreiten wollte. In seinem ursprünglich abgeschlossenen Arbeitsvertrag wurde eine jährliche Gehaltserhöhung nach dem Bundesangestelltentarif (BAT) vorgesehen. Obwohl der Chefarzt selber nicht dem Tarifvertrag unterlag, fand sich in seinem Arbeitsvertrag eine Individualverweisung auf die Erhöhungsvorschriften des BAT. Am 13. September 2005 wurde von der Gewerkschaft Ver.di der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) geschlossen, der an die Stelle des BAT trat. Kurze Zeit zuvor, nämlich am 11.09.2005, wurde vom Marburger Bund -der wichtigsten Interessenvertretung der Ärzte- die Tarifgemeinschaft mit Ver.di aufgekündigt und es wurde ein eigenständiger Tarifvertrag für Ärzte gefordert. Am 17.08.2006 haben der Marburger Bund als Vertreter der Ärzte und der Verband der Kommunalen Arbeitgeber (VKA) einen eigenständigen Tarifvertrag (TV-Ärzte/VKA) abgeschlossen. In Berlin kam es zu einem gesonderten Tarifvertrag, nämlich dem TV/Ärzte/Vivantes. Diese Tarifverträge sahen ebenfalls Erhöhungen vor, allerdings andere als der TVöD. In der Folgezeit verweigerte eine Vielzahl der kommunalen Krankenhäusern den Chefärzten eine Gehaltssteigerung entsprechend den Regelungen des TV-Ärzte/VKA und war lediglich bereit, eine Erhöhung nach dem TVöD zu gewähren.

In der Folgezeit wurde hierum vor zahlreichen Arbeitsgerichten und Landesarbeitsgerichten gestritten, da viele Chefärzte eine entsprechende Klausel in ihren Verträgen hatten. Vor den Landesarbeitsgerichten ging die Tendenz eindeutig dahin, den Chefärzten Recht zu geben und eine (größere) Erhöhung nach dem TV-Ärzte/VKA zu gewähren. Lediglich das Landesarbeitsgericht Hessen nahm eine andere Position ein und wies die Klage der Chefärzte ab. In einem Aufsehen erregendem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht den Streit nun als oberste Instanz der Fachgerichte entschieden, und zwar gegen die Chefärzte. Dabei mag es auch ein wenig eine Rolle gespielt haben, dass die Chefärzte kommunaler Krankenhäuser allgemein als hochbezahlt gelten und oftmals noch Nebenverdienstmöglichkeiten durch Privatliquidation und Gutachten haben.

Das BAG hat entschieden, dass allgemein der Verweis in Arbeitsverträgen, die früher nach BAT anzupassen waren, jetzt nicht nach dem TV-Ärzte/VKA und ähnlichen Tarifverträgen des Marburger Bundes angepasst werden, sondern alleine nach den Regeln des TVöD.

Das BAG beginnt seine Auslegung nicht mit den üblichen Auslegungsregeln für Vertragswerke, sondern mit den Auslegungsregeln für Allgemeine Geschäftsbedingungen, für die etwas andere Regeln gelten. Das Gericht betont dann weiter, dass der TVöD zuerst dagewesen sei und der nachfolgende TV-Ärzte/VKA dann nicht zu einer „Zweitersetzung“ geführt habe. Außerdem sei der TV-Ärzte/VKA nicht der „speziellere“ Tarifvertrag. Zum einen gelte der TV-Ärzte/VKA gar nicht direkt für Chefärzte, zum anderen habe der TV-Ärzte/VKA gegenüber dem BAT ein völlig neues Vergütungssystem geschaffen. Dem Vergütungssystem des BAT entspreche eher dem TVöD.

Zum Schluß führt das Gericht aus, es gäbe auch keinen allgemeinen Grundsatz, dass der Chefarzt als Vorgesetzter mehr Geld verdienen müsse, als die leitenden Oberärzte, seine Untergebenen.

Klagen auf eine Vertragsanpassung, die auf eine Vergütung nach den TV-Ärzte/VKA zielen, haben nach dieser Entscheidung keine nennenswerten Erfolgsaussichten mehr, da wenig Chancen bestehen, dieses negative Ergebnis über das Verfassungsgericht oder europäische Gerichte (etwa den EGMR) zu korrigieren.

Die Frage ist nun, welche Konsequenz daraus zu ziehen ist. Wo das Recht versagt, bleibt den Chefärzten nichts anderes übrig, als entweder mit individuellen Vertragsverhandlungen oder aber mit quasi „gewerkschaftlichen“ Mitteln für ihre finanziellen Rechte zu kämpfen. Es ist schon ein sehr eigenartiges Ergebnis, dass ein Tarifvertrag (TVöD) zur Auslegung der Arbeitsverträge von Chefärzten herangezogen wird, der bei Arbeitsverhältnissen von Ärzten keine oder keine nennenswerte Rolle gespielt hat und eigentlich für anderes Krankenhauspersonal geschaffen war.

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Die Tragödie nach der Tragödie?, Anmerkungen zu den Folgen der tragischen Ereignisse der Loveparade 2010

Anmerkungen zu den Ereignissen von Duisburg und ihrer strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Aufarbeitung

„‚Unser Mitgefühl ist bei den Opfern, sowohl bei den Toten und ihren Familien, als auch bei den Verletzten und Schwerverletzten.‘ Dieser Satz ist richtig und wir schließen uns ihm an. Zugleich kennen wir aus der Vergangenheit die Gefahr, dass eine solche Tragödie noch eine weitere Tragödie nach sich ziehen kann, nämlich eine schwerwiegende Beschuldigung gegen alle Personen, die in irgendeiner Weise mit der Organisation und Genehmigung der Loveparade beschäftigt waren. Aus der Erfahrung mit früheren, ähnlichen Ereignissen und den daraus folgenden Prozessen wissen wir, dass jetzt für eine Vielzahl von Mitarbeitern der Stadtverwaltung Duisburg, ihrer Aufsichtsinstanzen und sogar für Angehörige der Polizei die Gefahr besteht, in langwierige Prozesse hineingezogen zu werden, die nicht nur den persönlichen Ruf sondern auch die wirtschaftliche Existenz der Betroffenen ruinieren können. „Die Tragödie nach der Tragödie?, Anmerkungen zu den Folgen der tragischen Ereignisse der Loveparade 2010“ weiterlesen

Zahlen und Fakten von Gerichtsverfahren

In der Verwaltungsgerichtsbarkeit dauern erstinstanzliche Sachen im Bundesdurchschnitt 12,3 Monate. In den Ländern wird zum Teil die erste Instanz schon in knapp mehr als fünf Monaten beendet. Verschiedentlich dauern diese erstinstanzlichen Sachen auch 32 Monate. Bei den Oberverwaltungsgerichten beträgt die Durchschnittsdauer in ganz Deutschland ca. 14 Monate.

 

(C) Düsseldorfer Anwaltverein, Mitteilungen 6/2010

der „verlässliche Gutachter“, Anmerkung zu OLG Stuttgart, Beschluss v. 12.04.2010, Az. 4 Ss 62/10

Die relativ neue Entscheidung des OLG Stuttgart vom 12.04.2010 ist bedeutsam für alle Urteile, in denen ein Zeuge oder ein Sachverständiger dem Gericht bereits aus anderen Verfahren bekannt ist. Gerade bei Sachverständigen hört man oft die Formulierung, dieser sei dem Gericht aus anderen Verfahren vertraut und in seiner Arbeit als zuverlässig bekannt. Das OLG Stuttgart weist nun darauf hin, dass solche Einstufungen eines Zeugen nicht pauschal getroffen werden können. Wenn das Gericht den Zeugen in früheren Verfahren Glauben geschenkt hat, so bedeutet dies nur, dass man bereits damals ihre Argumentation überzeugend fand. Ohne eine objektive Nachprüfung kann jedoch kein Zeuge pauschal als glaubwürdig bezeichnet werden. Für Gutachter gilt natürlich dasselbe. Die häufig in Urteilsbegründungen zu hörende oder zu lesende Formulierung, ein Gutachter sei als zuverlässig bekannt, ist daher nur dann rechtsfehlerfrei, wenn dies in irgendeiner Weise gerichtlich überprüft wurde, nicht aber dann, wenn es sich um eine reine gefühlsmäßige Bewertung handelt.

direkt zum Volltext der Entscheidung

Sind alle Listenbeförderungen rechtswidrig? (Hessischer VGH, Urteil v. 09.03.2010, Az. 1 A 286/09)

Gesamtes Beförderungssystem der Finanzverwaltung könnte kippen – Aufsehenerregendes Urteil des 1. Senates des Hessischer Verwaltungsgerichtshofs vom 09. März 2010, Aktenzeichen 1 A 286/09 – noch nicht rechtskräftig, Revision zugelassen –

Leitsätze:

 

1. Die Einreihung in eine Beförderungsrangliste allein aufgrund der Gesamtnote der dienstlichen Beurteilungen ist mit dem Prinzip der Bestenauslese nicht vereinbar.

2. Ebenso wenig dürfen Frauen und Schwerbehinderte bei gleicher Gesamtnote einschränkungslos besser  eingestuft werden als nicht behinderte Männer. „Sind alle Listenbeförderungen rechtswidrig? (Hessischer VGH, Urteil v. 09.03.2010, Az. 1 A 286/09)“ weiterlesen

Bundespolizeiinspektionen sind keine Behörden, BGH, Beschluss v. 30.03.2010, Az. V ZB 79/10

In einem Verfahren über die Rechtmäßigkeit einer Abschiebehaft hatte der Bundesgerichtshof vor kurzem auch darüber zu entscheiden, welche Institutionen bei der Bundespolizei „Behörde“ im rechtlichen Sinne sind. Diese Frage ist entscheidend, da sich viele Zuständigkeiten nach dem Sitz der tätig werdenden Behörde richten und auch oftmals für Klageverfahren mitentscheidend ist, wo der Behördensitz zu verorten ist.

Der Bundesgerichtshof hat bei seiner Entscheidungsfindung auf seine eigene Rechtsprechung, ebenso wie auf die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts zurückgegriffen und kommt zu dem Ergebnis:

Die Bundespolizeiinspektionen sind keine Behörden. Der Begriff der Behörde ist in allen gesetzlichen Vorschriften in einem einheitlichen Sinn aufzufassen, und zwar im Sinn des Staats- und Verwaltungsrechts (st. Rechtspr., vgl. BGH, Beschl. v. 12. Juli 1951, IV ZB 5/51, NJW 1951, 799; Beschl. v. 16. Okto-ber 1963, IV ZB 171/63, NJW 1964, 299). Danach ist eine Behörde eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln, die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter Zwecke tätig zu sein (BGH, Beschl. v. 16. Oktober 1963, aaO; BVerfGE 10, 20, 48; BVerwG NJW 1991, 2980). Es muss sich um eine Stelle handeln, deren Bestand unabhängig ist von der Existenz, dem Wegfall, dem Wechsel der Beamten oder der physischen Person, der die Besorgung der in den Kreis des Amtes fallenden Geschäfte an-vertraut ist (BGH Beschl. v. 12. Juli 1951, aaO). Dass das Bundespolizeigesetz und die Verordnung über die Zuständigkeiten der Bundespolizeibehörden die Bundespolizeiinspektionen nicht nennen, ist insoweit ohne Bedeutung. Denn selbst fehlerhaft errichtete Behörden und deren Träger sind im Interesse der Rechtssicherheit bis zur endgültigen Feststellung der Unwirksamkeit nicht als inexistent zu behandeln (BVerfGE 1, 14, 38; BVerwG NvWZ 2003, 995, 996). „Bundespolizeiinspektionen sind keine Behörden, BGH, Beschluss v. 30.03.2010, Az. V ZB 79/10“ weiterlesen

22 Jahre Wartezeit für Polizistenbeförderungen verfassungswidrig (Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 17.03.2010, Az. 2 L 73/10)

Deutliche Worte fand das Verwaltungsgericht Düsseldorf am Mittwoch im Rahmen eines dort anhängigen Rechtsstreits zwischen einem Polizeibeamten und dem Land Nordrhein-Westfalen. Die 2. Kammer kam zu dem Ergebnis, dass eine Regelung der nordrhein-westfälischen Laufbahnverordnung der Polizei gegen das Grundgesetz verstoße. Es sei nicht verfassungsgemäß, dass bestimmte Beamtinnen und Beamten erst nach einer Wartezeit von 22 Jahren in ein Amt der Besoldungsgruppe A 11 befördert würden. „22 Jahre Wartezeit für Polizistenbeförderungen verfassungswidrig (Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 17.03.2010, Az. 2 L 73/10)“ weiterlesen

„Mehr Demokratie stellt neue Kampagne vor“, Köln Nachrichten vom 11.03.2010

Das Zeugnis könnte kaum schlechter ausfallen. Die Elemente direkter Demokratie auf kommunaler Ebene, die in den zurückliegenden Jahren sukzessive in die Gemeindeordnung NRW aufgenommen wurden, leiden unter hohen formalrechtlichen Hürden. Nur wenige schaffen überhaupt den Sprung zu einem Bürgerentscheid und damit zum eigentlichen Kern der Mitbestimmung. Die Initiative Mehr Demokratie e.V. hat am heutigen Donnerstag genau aus diesem Grund eine neue Kampagne gestartet, um diesem Mangel abzuhelfen. Zwar waren auch vorherige Initiativen, unter anderem auch von Mehr Demokratie e.V. zur Änderung des Wahlrechts in NRW wenig erfolgreich. NRW ist derzeit der einzige Flächenstaat in Deutschland, in dem das so genannte Kummulieren und Panaschieren nicht möglich ist. Trotzdem wollen die Initiatoren einen erneuten Anlauf starten, um für eine Vereinfachung des Wahlrechts und einen „Abbau unnötiger Hürden“ von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden einzutreten, erklärten der Pressesprecher des Vereins, Torsten Sterk, und Rechtsanwalt Robert Hotstegs auf der heutigen Pressekonferenz. Die Hemmschwellen und Fallstricke der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung, die über Zulässigkeit und Bedingungen von Elementen direkter Demokratie entscheiden, sind in dem Gesetzestext gut versteckt. „Man liest es nicht sofort“, erklärte Hotstegs. Vor allem Ausschluss so wichtiger Themenkomplexe wie Planungsvorhaben oder Bebauungspläne schränken die Erfolgsaussichten nordrhein-westfälischer Bürgerbegehren zusätzlich ein. „Das ist nicht praktikabel. Im Freistaat Bayern ist eine Abstimmung über solche Themen zulässig, trotzdem ist das Land nicht untergegangen“, so Hotstges weiter. „„Mehr Demokratie stellt neue Kampagne vor“, Köln Nachrichten vom 11.03.2010“ weiterlesen