Das Dienstgericht des Bundes hat in seiner heutigen Entscheidung wesentliche Rechtsgrundsätze dazu aufgestellt, unter welchen Voraussetzungen die politische Betätigung eines Richters seine Versetzung gemäß § 31 DRiG im Interesse der Rechtspflege rechtfertigen kann.
„Versetzung eines Richters in den Ruhestand im Interesse der Rechtspflege, Bundesgerichtshof, Dienstgericht des Bundes, Urteil v. 05.10.2023, Az. RiZ(R) 1/23“ weiterlesender besondere Gegenstandswert im kirchengerichtlichen Disziplinarverfahren, Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD, Beschluss v. 03.08.2023, Az. 0134/3-2022
Disziplinarverfahren gegen Kirchenbeamt:innen und Pfarrer:innen sind im Bereich der evangelischen Kirchen eng an das staatliche Disziplinarrecht angelehnt, finden aber auf eigener kirchengesetzlicher Grundlage und auch vor eigenen kirchlichen Disziplinargerichten statt. Trotz aller Ähnlichkeit zum staatlichen Recht sind gerade im Gebührenrecht weiterhin große Unterschiede festzustellen: die Kirchengerichte halten u.a. seit einer Entscheidung des Luth. Senats in Disziplinarsachen bei dem Kirchengerichtshof der EKD (Beschluss v. 10.12.2014, Az. 0125/1-14) nicht die Gebührentatbestände des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes über Disziplinarverfahren für anwendbar, sondern die allgemeinen und sogar außergerichtlichen Gebührentatbestände. Das ist nicht nur schwer nachvollziehbar und den Mandant:innen schwer zu vermitteln (siehe hierzu auch: Hotstegs, „Mein Gott!“ – Kosten und Kostenerstattung vor Kirchengerichten, ZAP 2018, 583), sondern macht es auch erforderlich, dass im kirchengerichtlichen Disziplinarverfahren ein Gegenstandswert festgesetzt wird.
In Fristsetzungsverfahren nach dem DG.EKD setzt die Disziplinarkammer in nun ständiger Rechtsprechung den Auffangstreitwert von 5.000,- € an, nach dem sich sodann die Gebühren des Bevollmächtigten bemessen.
Im Wortlaut lautet eine aktuelle Entscheidung der Kammer:
„der besondere Gegenstandswert im kirchengerichtlichen Disziplinarverfahren, Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD, Beschluss v. 03.08.2023, Az. 0134/3-2022“ weiterlesen„schwerwiegender Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in kirchlichen Disziplinarsachen“, Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD, Beschluss v. 17.05.2023, Az. 0134/3-2022
Auch gegen Kirchenbeamt:innen und gegen Pfarrer:innen können bei Verstößen gegen die Dienstpflichten Disziplinarverfahren eingeleitet werden. Für den Bereich der Ev. Kirche bestimmt sich das Verfahren nach dem Disziplinargesetz der EKD (DG.EKD). Daraus ergibt sich auch der hier schon in der Vergangenheit vorgestellte Grundsatz für die Ermittlungsbehörden: „Du sollst nicht trödeln!“
Soweit die Rechtsprechung der Disziplinarkammern dokumentiert ist, hat nun zum zweiten Mal ein Kirchengericht über einen Antrag auf Fristsetzung zu entscheiden gehabt. Die Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der Ev. Kirche in Deutschland hat dem Antrag, der durch uns vertreten wurde, stattgegeben. (Auch den ersten Beschluss haben wir vertreten, er ist hier ebenfalls dokumentiert.)
Wörtlich führt die Disziplinarkammer aus:
„„schwerwiegender Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in kirchlichen Disziplinarsachen“, Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD, Beschluss v. 17.05.2023, Az. 0134/3-2022“ weiterlesenRheinpegel – der Düsseldorf-Podcast v. 28.10.2022
Düsseldorf. Drei Themen, zwei Düsseldorfer, ein Podcast: Jede Woche sprechen unsere Reporter über das, was die Landeshauptstadt bewegt. Informativ, hintergründig, unterhaltsam.
Am Mikrofon: Arne Lieb, Kommunalpolitikchef der Düsseldorfer Lokalredaktion, und Helene Pawlitzki, Projektleiterin Audio&Podcasts der Rheinische Post.
zu Gast am 28.10.2022 (ab 41:16 Min.): Rechtsanwalt Robert Hotstegs im Gespräch über das Projekt „eine Spur in silber“, das er für das Düsseldorfer Institut für Dienstrecht durchführt
Leserforum, NJW-aktuell 44/2022, 10
Zu Interview Oberthür, NJW-aktuell H. 42/2022. Habe ich die Gesamtaussage des Interviews richtig verstanden, dass wir für Anwaltskanzleien am liebsten eine Bereichsausnahme vom Arbeitszeitgesetz benötigen und dass wir berufsrechtlich und im Mandatsinteresse veranlasst sind die Arbeitszeiten zu überschreiten?
Unsere Kanzlei hat 2018 ihre regelmäßige Wochenarbeitszeit von vorher 40 Stunden auf 38 Stunden für alle Mitarbeitenden herabgesetzt. Schon zuvor war es üblich eine von jeder Mandatserfassung unabhängige Arbeitszeiterfassung zu nutzen und anfallende Überstunden durch Freizeitausgleich abzubauen. Ich kann weder in der Vergangenheit, noch durch die aktuelle BAG-Rechtsprechung, Mandate oder das Berufsrecht erkennen, warum so etwas nicht praktikabel sein soll. Ich vermute, dass Anwaltskanzleien zu häufig das Klischee nächtelanger Arbeit anbieten und auch verkaufen und dass sich die Anpassung an den Arbeitsschutz doch vielleicht zunächst in den Honoraren niederschlagen würde. Auch unsere Mandanten und Mandantinnen dürfen in Notfällen und Eilsachen selbstverständlich mit entsprechender Bearbeitung und notfalls auch Nachtarbeit rechnen. Das ist aber nicht der im Konzept eingeplante Regelfall, sondern die Ausnahme. Und es ist die Einladung unsere Mandate so zu planen, dass nicht einzelne Schultern Arbeitszeiten „rund um die Uhr“ abdecken müssen.
Für selbstständige Rechtsanwält:innen findet das Arbeitszeitgesetz keine Anwendung. Für diejenigen, die im Team mit Angestellten arbeiten, bietet diese Zusammenarbeit doch gerade jede Möglichkeit, dem Arbeitsschutz ausreichend Rechnung zu tragen.
Für die erwähnte Bereichsausnahme wie in § 45 S. 2 WPO besteht aus meiner Sicht keinerlei Veranlassung – es ist mir schon ein Rätsel, warum sie für den mir aber fremden Beruf der Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer existieren muss. Dies gilt umso mehr, als auch für (echte) leitende Angestellte und erst recht für fingierte die „allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer“ aus dem EU-Recht Anwendung finden müssen. Ein echter Mehrwert im Sinne von unbegrenzter Arbeitszeit im Sinne der Nacht-Mandate dürfte damit daher nicht verbunden sein.
Zu guter Letzt: wir diskutieren flexible Arbeitszeitmodelle und die Attraktivität der Mitarbeit in Anwaltskanzleien, die entsprechenden Nachfragen nach der Vereinbarkeit von Anwaltsberuf und Familie sollen stetig steigen. Wenn wir diese Themen ernst nehmen, bewegen wir uns doch schon lange unterhalb der gesetzlichen Höchstarbeitszeitgrenzen, planen Pausen und Urlaube ein – oder habe ich etwas verpasst?
Fachanwalt für Verwaltungsrecht Robert Hotstegs, Düsseldorf
„Leserforum, NJW-aktuell 44/2022, 10“ weiterlesenMenschen aus Düsseldorf: Das verschwundene Gericht, Rheinische Post v. 25.10.2022
Pempelfort. Der Anwalt Robert Hotstegs ist auf der Suche nach der ehemaligen Bundesdisziplinarkammer, die bis 1967 in Düsseldorf saß. Von der gibt es kaum Spuren – wohl auch, weil die Richter mithalfen, NS-Verbrechen zu vertuschen.
von Marc Ingel
Robert Hotstegs kennt sich aus mit Beamtenrecht, seine Kanzlei an der Mozartstraße ist darauf spezialisiert. Das Disziplinarverfahren gegen einen Feuerwehrmann, die längst verdiente, aber nicht gewährte Beförderung im öffentlichen Dienst, der Lehrer, dem Nähe zum Reichsbürgertum vorgeworfen wird – bei solchen Verfahren ist die Hotstegs-Rechtsanwaltsgesellschaft Ansprechpartner. „Klingt etwas spröde, muss es aber nicht sein“, sagt Hotstegs.
Alles andere als öde ist jedenfalls auch das, womit sich Hotstegs seit ein paar Monaten quasi so nebenbei in seiner Freizeit beschäftigt. Er sucht ein verloren gegangenes Gericht, das rein thematisch eng verbunden ist mit seiner tagtäglichen Arbeit: Disziplinarrecht im weitesten Sinne. Es geht dabei um die Bundesdisziplinarkammer X (für römisch zehn), die von 1953 bis 1967 ein eigenständiges Bundesgericht in Düsseldorf war und zuerst in der Oberpostdirektion (heute GAP 15) und später in der Oberfinanzdirektion (inzwischen Bau- und Heimatministerium) ihren Sitz hatte. Nur: „Keiner weiß, was daraus geworden ist, es gibt keine Zeitzeugen, kaum Akten, erst recht keine Fotos“, sagt Hotstegs.
„Menschen aus Düsseldorf: Das verschwundene Gericht, Rheinische Post v. 25.10.2022“ weiterlesenDarf man das noch sagen? Beharrliche Gehorsamsverweigerung bei Corona-Bekämpfung führt zur Dienstentfernung einer JVA-Beamtin, Verwaltungsgericht Trier, Urteil v. 21.06.2022, Az. 3 K 802/22.TR
Eine aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichts Trier lenkt einerseits den Blick darauf, dass die Gehorsamspflicht der Beamt:innen auch bedeutet Corona-Schutzmaßnahmen zu kommunizieren, ggf. mit umzusetzen und nicht aber zu unterlaufen. Gerade bei Behörden, die von ihrer grundsätzlichen Aufgabenstellung zur Durchsetzung von Recht und Ordnung berufen sind (etwa Polizei, Justizvollzug, Zoll, Gerichte), ist hier ein strengerer Maßstab anzulegen als etwa bei Hochschulen, die den wissenschaftlichen Diskurs über die Wirksamkeit und Unwirksamkeit von Maßnahmen führen.
Andererseits führt die Entscheidung aber auch noch einmal die Geschwindigkeit von manchen Disziplinarklageverfahren vor Augen. Während das behördliche Disziplinarverfahren sich oftmals schon von Gesetzes wegen über mindestens ein halbes Jahr erstreckt, bestehen im gerichtlichen Verfahren über die Disziplinarklage nur wenige Fristen. Die vorliegende Entscheidung ist nach knapp drei Monaten ergangen.
„Darf man das noch sagen? Beharrliche Gehorsamsverweigerung bei Corona-Bekämpfung führt zur Dienstentfernung einer JVA-Beamtin, Verwaltungsgericht Trier, Urteil v. 21.06.2022, Az. 3 K 802/22.TR“ weiterlesenSoldaten müssen sich gegen Covid-19 impfen lassen, Bundesverwaltungsgericht, Beschlüsse v. 07.07.2022, Az. 1 WB 2.22, 1 WB 5.22
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute die Anträge zweier Luftwaffenoffiziere gegen die Verpflichtung, die Covid-19-Impfung zu dulden, als unbegründet zurückgewiesen. Gegenstand dieser Anträge nach der Wehrbeschwerdeordnung ist eine Allgemeine Regelung des Bundesministeriums der Verteidigung vom 24. November 2021, mit der die Schutzimpfung gegen Covid-19 in die Liste der für alle aktiven Soldatinnen und Soldaten verbindlichen Basisimpfungen aufgenommen worden ist. Die beiden Antragsteller haben vorgetragen, die Impfung mit den von der Bundeswehr verwendeten mRNA-Impfstoffen sei rechtswidrig und greife in unzumutbarer Weise in ihre Rechte ein. Die mit den Impfstoffen verbundenen Risiken stünden außer Verhältnis zu deren Nutzen.
Der 1. Wehrdienstsenat hat die Allgemeine Regelung zur Durchführung der Covid-19-Impfung als anfechtbare dienstliche Maßnahme i.S. des § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO angesehen, weil sie für die ausführenden Truppenärzte und Disziplinarvorgesetzten bindend ist und unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtsposition der betroffenen Soldaten hat. Er hat darum die Einwände gegen die Covid-19-Impfung an vier Verhandlungstagen erörtert und inhaltlich überprüft. Dabei sind neben Sachverständigen der Antragsteller und der Bundeswehr auch Fachleute des Paul-Ehrlich- und Robert-Koch-Instituts angehört worden.
Im Ergebnis hat sich die Allgemeine Regelung als formell und materiell rechtmäßig erwiesen. Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Regelung in einem ordnungsgemäßen Verfahren erlassen und insbesondere die Soldatenvertretungen beteiligt. Es war im Rahmen der ihm zustehenden Weisungsbefugnis nach § 10 Abs. 4 SG berechtigt, nach pflichtgemäßen Ermessen den Kreis der notwendigen Schutzimpfungen durch Verwaltungsvorschrift festzulegen. Denn das Soldatengesetz enthält in § 17a SG* eine ausdrückliche Regelung darüber, dass jeder Soldat verpflichtet ist, sich im Interesse der militärischen Auftragserfüllung gesund zu erhalten und dabei ärztliche Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten gegen seinen Willen zu dulden. Dies hat seinen Grund darin, dass der militärische Dienst seit jeher durch die Zusammenarbeit in engen Räumen (Fahrzeugen, Schiffen, Flugzeugen), durch Übungen und Einsätze in besonderen naturräumlichen Gefährdungslagen und durch das Gemeinschaftsleben in Kasernen das besondere Risiko der Verbreitung übertragbarer Krankheiten mit sich bringt. Das Gesetz erwartet, dass jeder Soldat durch die Duldung von Schutzimpfungen zu seiner persönlichen Einsatzfähigkeit und damit zur Funktionsfähigkeit der Bundeswehr (Art. 87a GG) insgesamt beiträgt. Die Erhaltung der eigenen Einsatzfähigkeit ist eine zentrale Dienstpflicht im hoheitlichen Dienst- und Treueverhältnis des Soldaten (Art. 33 Abs. 4 GG)
Die gesetzliche Ausgestaltung der Duldungspflicht genügt auch dem rechtsstaatlichen Gebot, dass der Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Denn er hat die Reichweite des Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit in allgemeiner Weise hinreichend klar bestimmt und auf zumutbare Eingriffe begrenzt. Die genaue Festlegung der im Einzelnen hinzunehmenden Impfungen und zu verwendenden Impfstoffe konnte er dem Dienstherrn überlassen, weil die Soldatinnen und Soldaten abhängig von ihrem Einsatzort im In- und Ausland unterschiedliche Impfungen benötigen. Außerdem erfordern etwa das Auftreten neuer Krankheitserreger oder das Bekanntwerden neuer Nebenwirkungen von Impfstoffen eine flexible und schnelle Entscheidungsfindung.
Das Bundesministerium der Verteidigung hat bei der Einführung der Duldungspflicht im November 2021 das ihm eingeräumte Ermessen nicht überschritten. Damals wies die Delta-Variante des SARS-CoV-2-Virus eine erhebliche Gefährlichkeit auf. Die vorhandenen Impfstoffe konnten zwar das Risiko einer Infektion und Übertragung nur verringern, aber die Gefahr schwerer Verläufe um 90 % reduzieren. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht das Vorhandensein einer sich verschärfenden pandemischen Lage im Winter 2021 bestätigt und näher ausgeführt, dass nach damaliger überwiegender fachlicher Einschätzung von einer erheblichen Reduzierung der Infektions- und Transmissionsgefahr durch die Covid-19-Impfung ausgegangen wurde (BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 – Rn. 157 ff., 173 f.).
Der 1. Wehrdienstsenat hat sich nach der von ihm durchgeführten Sachverständigen-anhörung auch der Bewertung angeschlossen, dass die Impfung gegenüber der nunmehr vorherrschenden Omikron-Variante eine noch relevante Schutzwirkung im Sinne einer Verringerung der Infektion und Transmission bewirkt (BVerfG a.a.O. Rn. 184 f.). Außerdem reduziert sie vor allem nach einer Auffrischungsimpfung das Risiko eines schweren Verlaufs über längere Zeiträume, so dass der positive Effekt der Impfung das mit ihr verbundene Risiko weiter deutlich überwiegt. Dies gilt nach den aktuellen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts auch für die Gruppe der 18- bis 59-Jährigen, die den überwiegenden Anteil des militärischen Personals ausmachen. Das Bundesministerium der Verteidigung war berechtigt, bei seiner Einschätzung der Impfrisiken auf die Sicherheitsberichte des Paul-Ehrlich-Instituts zurückzugreifen, auch wenn diese Fachbehörde die Daten der Kassenärztlichen Vereinigungen entgegen § 13 Abs. 5 IfSG bislang nicht erhalten hat. Durch die zahlreichen Einwendungen der Antragsteller wurde die Überzeugungskraft der amtlichen Auskünfte der beiden Fachbehörden nicht durchgreifend erschüttert.
Allerdings ist das Bundesministerium der Verteidigung verpflichtet, die Aufrechterhaltung der Covid-19-Impfung zu evaluieren und zu überwachen. Denn Daueranordnungen müssen stets daraufhin überprüft werden, ob sie angesichts veränderter Umstände weiterhin verhältnismäßig und ermessensgerecht sind. Das Nachlassen der Gefährlichkeit des SARS-CoV-2-Virus und die Verringerung der Effektivität der aktuell verfügbaren Impfstoffe sind Umstände, die eine erneute Ermessensentscheidung für die Anordnung weiterer Auffrischungsimpfungen angezeigt erscheinen lassen. Außerdem ist eine Evaluierung der Entscheidung dem Gesamtvertrauenspersonenausschuss im Schlichtungsverfahren zugesagt worden.
Pressemitteilung v. 07.07.2022
Kürzung der Dienstbezüge im ausgesetzten Disziplinarverfahren, Dienstgericht für Richter bei dem LG Düsseldorf, Beschluss v. 15.03.2022, Az. DG-2/2021
Die Entscheidung lautet im Volltext:
1. Von den monatlichen Dienstbezügen der Antragsgegnerin werden 30 Prozent einbehalten.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.Gründe:
I.
Die am … geborene Antragsgegnerin trat am … als Richterin auf Probe in den richterlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen ein. Am … wurde sie zur Richterin am Amtsgericht am Amtsgericht Lüdenscheid ernannt. Mit Wirkung vom … wurden ihr durch die Geschäftsverteilung im Wesentlichen Familien- und Strafsachen zur Bearbeitung zugewiesen.
Mit Verfügung vom … leitete der Präsident des Landgerichts R. ein Disziplinarverfahren gegen die Antragsgegnerin ein, das mit Verfügungen vom … und … ausgedehnt wurde. Im Wesentlichen wird der Antragsgegnerin vorgeworfen
in insgesamt acht Strafverfahren entgegen der gesetzlichen Fristen Urteilsgründe über Zeiträume bis zu 16 Monate nicht schriftlich abgefasst zu haben und die Vollstreckung bzw. den Fortgang der Verfahren erheblich verzögert zu haben,
in mindestens zwei weiteren Strafverfahren die mit vollständigen Gründen versehenen Urteile nicht oder bis zu 202 Tage nach Ablauf der Absetzungsfrist zu den Akten gebracht zu haben,
weitere 41 Verfahren inhaltlich nicht oder nur verzögert gefördert zu haben,
in vier Straf- und drei Familiensachen für den Verlust der Verfahrensakten verantwortlich zu sein und
in einem weiteren Strafverfahren das Protokoll der Hauptverhandlung eigenhändig abgeändert zu haben, um zu verschleiern, dass in dem Termin ein Urteil verkündet wurde.
Darüber hinaus wurde der Vorwurf erhoben, die nachträgliche Abfassung der Urteile sei durch Rückdatierungen verschleiert und die Fristüberschreitung verheimlicht worden. In einem Fall sollen auch gegenüber Verfahrensbeteiligten bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht und ein Beschluss zurückdatiert worden sein.
Der Antragsteller hat bei dem hiesigen Dienstgericht mit Antrag vom 16.11.2020 (Az. DG-12/2020) die vorläufige Dienstenthebung der Antragsgegnerin beantragt. Auf den Antrag hin hat das Dienstgericht mit Beschluss vom 21.07.2021 die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen. Die Beschwerde zum Dienstgerichtshof hat dieser mit Beschluss vom 05.01.2022 (Az. 1 DGH 1/2021) zurückgewiesen. Die Entscheidung ist somit rechtskräftig.
Wegen des dem Disziplinarverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts ist ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen die Antragsgegnerin eingeleitet und Anklage durch die Staatsanwaltschaft G. erhoben worden. Das Landgericht Hagen hat die Antragsgegnerin mit Urteil vom 18.11.2021 (Az. 46 KLs – 31 Js 264/20 – 8/21) wegen Rechtsbeugung in zehn Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in sechs Fällen in Tateinheit mit Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Antragsgegnerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt.
Die Antragsgegnerin ist zuletzt im April 2017 mit dem Gesamtergebnis „überdurchschnittlich“ dienstlich beurteilt worden.
Sie ist seit dem … durchgängig dienstunfähig erkrankt.
Am 28.06.2021 hat der Antragsteller den Antrag auf Einbehaltung der Dienstbezüge gestellt. Zur Begründung trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, es sei voraussichtlich mit der Entfernung der Antragsgegnerin aus dem Dienst zu rechnen und eine Einbehaltung von 50 % der Dienstbezüge sei ihr auch wirtschaftlich zumutbar.
Der Antragsteller beantragt,
50 Prozent der monatlichen Dienstbezüge der Antragsgegnerin gemäß §§ 77 Abs. 1, 81 Abs. 1 LRiStaG NRW i.V.m. § 38 Abs. 2 LDG NRW einzubehalten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin im Wesentlichen vor, die angeschuldigten Dienstpflichtverletzungen seien ihr im Hinblick auf ihre Erkrankung nicht vorwerfbar bzw. nicht verschuldet. Die Entscheidung im Strafverfahren sei noch nicht rechtskräftig, für sie gelte daher die Unschuldsvermutung. Überdies sei die Kürzung der Dienstbezüge dem Umfang nach nicht gerechtfertigt, da der Antragsteller in unzulässiger Weise notwendige Ausgaben unberücksichtigt gelassen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, sowie der Personalakten und Disziplinarvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und im tenorierten Umfang auch begründet.
1. Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 Landesrichter- und Staatsanwältegesetz (LRiStaG), § 77 Abs. 1 LRiStaG, § 38 Abs. 2 Landesdisziplinargesetz Nordrhein-Westfalen (LDG NRW) kann das Dienstgericht auf Antrag des Justizministeriums gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienst- oder Anwärterbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.
Der Einbehalt der Dienstbezüge setzt zunächst voraus, dass die vorläufige Dienstenthebung angeordnet worden ist.
vgl. Fischer, Disziplinarrecht und Richteramt, S. 162.
Darüber hinaus muss die Richterin eines Dienstvergehens dringend verdächtig sein, das ihre Entfernung aus dem Amt rechtfertigen würde. Die Voraussetzungen liegen auch vor, wenn eine noch nicht rechtskräftige Entscheidung im Strafverfahren oder gerichtlichen Disziplinarverfahren mit ihrer Rechtskraft den Verlust des Richteramtes nach sich zieht.
vgl. Fischer, Disziplinarrecht und Richteramt, S. 162 m.w.N.
Das Disziplinarverfahren ist in der Hauptsache gegen die Antragsgegnerin noch nicht abgeschlossen. Das Dienstgericht hat in seinem Beschluss vom 21.07.2021 (Az. DG-12/2020) ausgeführt:
„Es kann offenbleiben, ob im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf eine Entfernung aus dem Richterdienstverhältnis erkannt werden wird, weil dies maßgeblich auch von den medizinischen und therapeutischen Feststellungen und deren Bewertung im Rahmen der Schuldzumessung und des Verschuldens abhängig sein dürfte.
Vgl. insbesondere auch Dienstgerichtshof für Richter bei dem Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 26. Juli 2012, Az. 1 DGH 2/11, juris.
Der Antrag auf vorläufige Dienstenthebung des Antragsgegners kann aber dessen ungeachtet mit Erfolg auf § 81 Abs. 1 S. 1 LRiStaG, § 77 Abs. 1 LRiStaG, § 38 Abs. 1 S. 2 LDG NRW gestützt werden.
Gemäß § 77 Abs. 1 LRiStaG, § 38 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW kann ein Richter vorläufig des Dienstes enthoben werden, wenn durch das Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Eine vorläufige Diensthebung setzt hiernach zunächst voraus, dass durch das Verbleiben des Richters im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden.
Dies ist vorliegend der Fall. Zwar gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass durch den Verbleib der Antragsgegnerin im Dienst die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden, d.h. bei ihrem Verbleib im Dienst die nahe liegende Gefahr bestehen würde, dass das disziplinarrechtliche Verfahren nicht durch umfassende Sachverhaltsermittlung zu einem ordnungsgemäßen Abschluss gebracht werden könnte.
Vgl. allgemein Urban, in: Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Auflage 2017, § 38 Rn. 23.
Aber durch den Verbleib der Antragsgegnerin im Dienst würde der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigt.
Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes kann angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass durch die Anwesenheit der Antragsgegnerin und die von ihr hervorgerufenen disziplinarrechtlich erheblichen Umstände eine sachgerechte Erfüllung der dienstlichen Aufgaben in ihrer Dienststelle wahrscheinlich gefährdet würde.
Vgl. allgemein Urban, in: Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Auflage 2017, § 38 Rn. 22.
Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebs (§ 38 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 LDG NRW) ist vor allem dann zu besorgen, wenn auf Grund von Umständen, die mit dem mutmaßlich begangenen Dienstvergehen in Zusammenhang stehen, eine gedeihliche, der Dienstverrichtung dienende Zusammenarbeit mit dem Beamten gefährdet ist und hierunter die Aufgabenerledigung ernsthaft leiden kann. Anhaltspunkte hierfür können sich aus den bereits eingetretenen Folgen des mutmaßlichen Dienstvergehens ergeben. Auswirkungen auf den Dienstbetrieb sind weiterhin zu befürchten, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen ist.
Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 25. März 2013 – 19 ZD 4/13 -, juris, Rn. 8; Bayerischer VGH, Beschluss vom 11. Dezember 2013 – 16a DS 13.706 -, juris, Rn. 87.
Ist es wie vorliegend offen, ob eine Dienstentfernung im Disziplinarverfahren in Betracht kommen kann, so bedarf es zudem eines besonderen rechtfertigenden Grundes dafür, dass eine Richterin in der Zeit von der Einleitung des Disziplinarverfahrens an bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss ihren sich aus dem bestehenden Dienstverhältnis ergebenden Anspruch auf Ausübung ihres Amtes vorübergehend verliert. Eine pauschale Begründung reicht dabei nicht aus. Erforderlich ist die Darlegung, in welchen besonderen Umständen im Falle der Weiterbeschäftigung der Richterin die Gefährdung oder Störung der dienstlichen Belange liegen könnte. Zur Feststellung einer wesentlichen Beeinträchtigung bedarf es einer Abwägung zwischen dem Ausmaß der unmittelbaren Gefährdung oder Störung des Dienstbetriebes und den nachteiligen Auswirkungen und Belastungen für den Betroffenen.
Vgl. zum Beamtenrecht: BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 – 2 BvR 80/77 -, juris, Rn. 40; BVerwG, Beschluss vom 1. September 2000 – 1 DB 16/00 -, juris, Rn. 11; Beschluss vom 16. Mai 1994 – 1 DB 7/94 -, juris, Rn. 13 (zu § 91 BDO); OVG NRW, Beschluss vom 17. November 2016 – 3d B 547/16.O -, juris, Rn. 56.
Eine diesen Anforderungen genügende Darlegung einer wesentlichen Beeinträchtigung des Dienstbetriebes bei einer Amtsausübung der Antragsgegnerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens ist dem Antrag und der Disziplinarakte hinreichend deutlich zu entnehmen.
Danach ist es in der Vergangenheit – ohne dass es auf die Frage der Vorwerfbarkeit und des Verschuldens der Antragsgegnerin ankommt – in über 50 Straf- und Familiensachen zu irregulären Verfahrensabläufen gekommen.
Die Antragsgegnerin hat derzeit einen Teil der erhobenen Vorwürfe als unstreitig eingeräumt. Danach habe sie elf konkret benannte Verfahren nicht nach Durchführung der Hauptverhandlung ordnungsgemäß zu Ende bearbeitet, sodass ein schriftlich abgefasstes Urteil abgesetzt und zur Akte gebracht worden wäre (Bl. 33 GA). In 13 Verfahren habe sie die unter dem Urteil befindliche Verfügung zurückdatiert (Bl. 34 GA). In weiteren 41 Verfahren hat die Antragsgegnerin eingeräumt, die Verfahren nicht betrieben zu haben (Bl. 34 GA).
Die Antragsgegnerin trägt vor, sie leide unter einer diagnostizierten Störung der Impulskontrolle und einem Verlust der Steuerungsfähigkeit. Sie bedürfe daher eines Mentorings und einer Begleitung (Bl. 44 GA).
Der Antrag verweist im Ergebnis unstreitig und zur derzeitigen Überzeugung des Gerichts zum einen auf die zahlreichen der Antraggegnerin zur Last gelegten Dienstvergehen und zum anderen auf die besondere Vertrauensstellung als Richterin am Amtsgericht, die strukturell in keinen Spruchkörper von anderen Berufsrichter:innen eingebunden ist und die ihr Richteramt auch weisungsungebunden ausüben muss. Damit ist etwa jedes Mentoring, das die Art und Weise richterlicher Dienstausübung gestaltet problematisch.
Darüber hinaus ist aber aktuell – unabhängig von der Frage eines Verschuldens oder einer Vorwerfbarkeit des Fehlverhaltens der Antragsgegnerin – aus therapeutischer Sicht wie auch aus Sicht der Antragsgegnerin selbst damit zu rechnen, dass es zu weiteren Verstößen insbesondere gegen gesetzliche Absetzungsfristen kommen wird.
Der Dienstbetrieb des Amtsgerichts, der auf zeitnahe gerichtliche Entscheidungen ausgerichtet ist und der der Realisierung des Justizgewährleistungsanspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG dient, wäre hierdurch erheblich gestört. Nicht durch die Antragsgegnerin abgeschlossene Verfahren müssten entweder von anderen Richter:innen im Wege der Geschäftsverteilung übernommen und ggf. unter Wiederholung von Beweiserhebungen, mündlichen Verhandlungen und Hauptverhandlungen erneut behandelt und sodann entschieden werden oder derartige Verfahren würden ohne Schlussentscheidung Gegenstand von Verzögerungsrügen, Beschleunigungsrügen oder Rechtsmitteln. Der Dienstbetrieb des Amtsgerichts wäre erheblich eingeschränkt seine gesetzlich zugewiesene Aufgabe wahrzunehmen.
Die vorläufige Dienstenthebung dient damit auch der Sicherstellung der Rechtspflege. Würde dem Antrag nicht entsprochen, könnte die Antragsgegnerin jederzeit aus der Dienstunfähigkeit in den Dienst zurückkehren. Ihr stünde sodann unmittelbar eine amtsangemessene und inhaltlich unabhängig auszuübende, rechtsprechende Beschäftigung zu.
Da die Antragsgegnerin selbst dargelegt hat, dass sie die Nichtförderung von Verfahren oder Nichtabsetzung von Entscheidungen nicht steuern oder vorhersehen konnte, erscheint es nach derzeitigem Kenntnisstand ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin einen – wie auch immer gestalteten – Anteil an der Geschäftsverteilung des Amtsgerichts eigenständig wahrnimmt. Sie bedürfte derzeit einer organisatorischen Kontrolle, die weder durch eine Serviceeinheit, noch durch Richterkolleginnen und -kollegen oder gar die Gerichtsleitung wahrgenommen werden könnte. Denn jede kontinuierliche inhaltliche Kontrolle nach der Reihenfolge der Bearbeitung der Verfahren oder nach der Absetzung von Entscheidungen, würde eine unzulässige Ausübung von Dienstaufsicht darstellen. Weder kann die Antragsgegnerin auf ihre richterliche Unabhängigkeit verzichten, noch darf den Rechtsuchenden entgegen Art. 97 Abs. 1 GG die Rechtsprechung durch eine derart kontrollierte Richterin „angeboten“ werden.
Würde die Antragsgegnerin nicht vorläufig des Dienstes enthoben und würde sie sich wieder zum Dienst zurückmelden, bestünde die greifbare Gefahr, dass sie erneut Verfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß betreiben und abschließen würde. Dies führt zu einer Mehrbelastung der Rechtsmittelinstanzen, in Fällen der Rückverweisung auch zu einer Mehrbelastung von Richter:innen des Amtsgerichts, vor allem aber wird der Anspruch der Parteien der Verfahren auf ein zügiges Verfahren vereitelt. Die Vielzahl der bislang dokumentierten und unstreitig eingeräumten Fälle hat auch die Schwelle einer hinnehmbaren Schlechtleistung im Einzelfall überschritten.
Weder dem Dienstherrn, noch den rechtsuchenden Parteien oder der Strafverfolgung ist dies zumutbar.
Es gehört im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren zum notwendigen Inhalt eines Bescheides über eine vorläufige Dienstenthebung, dass die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, dargestellt werden und der dem Beamten zur Last gelegte Sachverhalt möglichst nach Datum, Zeit, Ort und Geschehensablauf konkret bezeichnet wird. Es muss klar erkennbar sein, aus welchen Tatsachen dem Beamten Vorwürfe gemacht werden. Hierzu gehört eine so hinreichende Substantiierung, dass dem Beamten eine sachgerechte Verteidigung möglich ist und das Disziplinargericht in die Lage versetzt wird, den in bestimmter Hinsicht erhobenen und dem Umfang nach klar abgegrenzten Vorwürfen nachzugehen.
Vgl. hierzu VG Magdeburg, Beschluss vom 24. September 2018 – 15 B 23/18 -, juris, Rn. 10; VG Düsseldorf, Beschluss vom 03. April 2019 – 35 L 148/19.O –, Rn. 16 – 17, juris.
Diese Anforderungen sind auch im dienstgerichtlichen Verfahren an die Antragsschrift und ihre Begründung zu stellen.
Die Antragsschrift und die Disziplinarakte werden diesen Anforderungen gerecht, ohne dass es einer Beiziehung aller streitgegenständlichen Verfahrensakten der Familien- und Strafsachen bedurfte. Die Antragsgegnerin hat die verzögerten und manipulierten Verfahren auch unter Angabe der Aktenzeichen unstreitig gestellt.
2. Die derzeit noch andauernde Dienstunfähigkeit der Antragsgegnerin steht der vorläufigen Dienstenthebung nicht entgegen. Anders als im Verfahren DG-3/2019 ist nämlich derzeit eine Versetzung in den Ruhestand (noch) nicht zu erwarten.“
Der Dienstgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 05.01.2022 (Az. 1 DGH 1/2021) über die Beschwerde der Antragsgegnerin ergänzend ausgeführt:
„Schließlich war zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin aufgrund der auch hier verfahrensgegenständlichen Vorwürfe zwischenzeitlich durch das Urteil des Landgerichts Hagen vom 18.11.2021, 46 KLs 32 Js 264/20 – 8/21, wegen Rechtsbeugung in 10 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in 6 Fällen in Tateinheit mit Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten verurteilt worden ist. Zwar hat die Antragsgegnerin gegen dieses Urteil Revision eingelegt und streitet – was der Senat nicht verkennt – zu ihren Gunsten bis zum Abschluss des Verfahrens die Unschuldsvermutung. Jedoch trägt allein die Tatsache, dass gegen die Antragsgegnerin ein Straverfahren anhängig ist, welches zu einer erstinstanzlichen Verurteilung mit einer derart empfindlichen Gesamtfreiheitsstrafe geführt hat, maßgeblich dazu bei, dass durch den Verbleib der Antragsgegnerin im Dienst der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigt würde. Die Verurteilung der Antragsgegnerin ist in einem rechtsstaatlichen Regelungen unterworfenen Strafverfahren erfolgt, wobei die Antragsgegnerin jedenfalls einzelne – durchaus schwerwiegende – Tatvorwürfe dem Grunde nach eingeräumt hat.
[…] Die vorläufige Dienstenthebung steht auch nicht etwa außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme. Gerade angesichts des überaus schwerwiegenden Tatvorwurfs der Rechtsbeugung in einer Vielzahl von Fällen, tateinheitlich begangen mit Verwahrungsbruch und verschiedenen Urkundsdelikten, ist die Verhältnismäßigkeit gewahrt, zumal die von der Antragsgegnerin eingeräumten Taten das Vertrauen der Rechtssuchenden in eine integre und funktionierende innerstaatliche Rechtspflege in ganz erheblichem Maße gefährden.“
Danach ist auch im hiesigen Verfahren die Entfernung aus dem Dienst nach der im Antragsverfahren gebotenen summarischen Prüfung wahrscheinlicher als eine geringere Maßnahme.
Würde die erstinstanzliche Verurteilung im Strafverfahren rechtskräftig, ergäbe sich ein sogenannter „Verlust der Beamtenrechte“ gem. § 71 DRiG i.V.m. § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BeamtStG, § 29 LBG NRW von Gesetzes wegen. Begrifflich stellt dieser Verlust der Beamtenrechte keine „Entfernung aus dem Beamtenverhältnis“ im Sinne des § 38 Abs. 2 LDG NRW dar. Der Landesgesetzgeber hat aber etwa in den Vorschriften des § 30 Abs. 3 und § 33 Abs. 2 Nr. 2 LDG NRW zunächst zu erkennen gegeben, dass der Verlust der Beamtenrechte qualitativ einer Entfernung gleichzustellen sei. Darüber hinaus – und damit auch diese Entscheidung isoliert tragend – sind gem. § 23 Abs. 1 LDG NRW „die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Straf- oder Bußgeldverfahren, auf denen das Urteil beruht, […] im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, bindend.“ Von den tatsächlichen Feststellungen wären sowohl die von der Antragsgegnerin eingeräumten Tatvorwürfe, die als erwiesen betrachteten weiteren Vorwürfe wie auch die Feststellungen zu Vorsatz und Vorwerfbarkeit erfasst.
Schließlich hätte das strafrechtliche Strafmaß und sein Verhältnis zum vom Gesetzgeber vorgegebenen Strafrahmen auch indizielle Wirkung für die Gewichtung der Taten, die auch im Disziplinarverfahren nicht unberücksichtigt bleiben könnten.
Danach ist prognostisch mit der Entfernung aus dem Dienst zu rechnen. Dies begründet den gestellten Antrag dem Grunde nach.
3. Soweit die Antragsgegnerin vorgetragen hat, der Antrag sei der Höhe nach unbegründet, sind nach Auffassung des Dienstgerichts die im gerichtlichen Verfahren vorgetragenen Verteidigungskosten in Höhe von insgesamt 450,- € monatlich für das Straf- und Disziplinarverfahren, sowie die Tilgungsraten des Pkw in Höhe von 425,- € monatlich zu berücksichtigen gewesen.
Die Kreditverpflichtung für den privaten Pkw ist die Antragsgegnerin vor dem hier anhängigen Verfahren eingegangen. Eine Pflicht zur Veräußerung des Pkw besteht nicht. Zu Recht hat der Antragsteller aber angenommen, dass etwaige Fahrtkosten zur Dienststelle für die Dauer der vorläufigen Dienstenthebung nicht entstehen (können) und insofern auch nicht zu berücksichtigen waren.
Das Gebot der sogenannten „Waffengleichheit“ gebietet es, der Antragsgegnerin die freie Wahl der Verteidigung im Straf- wie auch im Disziplinarverfahren zu belassen. Hier überrascht zwar, dass die Kosten für das in der Hauptsache ruhende Disziplinarverfahren höher angesetzt wurden als die Kosten des laufenden Strafverfahrens, gleichwohl entspricht eine monatliche Belastung von 450,- € nach Auffassung des Dienstgerichts einer noch üblichen und angemessenen Belastung.
Weitere Ausgaben und Verpflichtungen waren nicht zu berücksichtigen.
Nach Kürzung der Bezüge um 30% verbleibt der Antragsgegnerin ein amts- und statusangemessenes Einkommen.
Dass die in dieser Höhe begründete und vom Gesetzgeber grundsätzlich eröffnete Möglichkeit der Kürzung der Dienstbezüge allein weiteren sanktionsähnlichen Charakter habe, wie von der Antragsgegnerin ebenfalls vorgetragen, ist nicht ersichtlich.
4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 77 Abs. 1 LRiStaG NRW, § 74 Abs. 1 LDG NRW, § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Für eine Kostenentscheidung in besonderen Fällen (§ 95 LRiStaG NRW, § 155 VwGO) sind die Voraussetzungen nicht gegeben.
Der Festsetzung eines Gegenstandswerts bedarf es weder im Hinblick auf Gerichtskosten, noch im Hinblick auf die Rechtsanwaltsvergütung.
Bei veränderten Umständen kann die Antragsgegnerin gem. § 81 Abs. 4 LRiStaG NRW die Aufhebung der Kürzung der Bezüge beantragen.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, da Beschwerde zum Dienstgerichtshof erhoben wurde. (Stand: 13.04.2022)
Auf der Suche nach der Bundesdisziplinarkammer: Das verschwundene Gericht, lto.de v. 26.02.2022
Interview von Tanja Podolski
Die Bundesdisziplinarkammer X war ein Bundesgericht in Düsseldorf. Und es ist verschwunden. Im Interview erklärt Anwalt Robert Hotstegs, wie und warum er dieses Gericht sucht. Fest steht: Eine bekannte Entscheidung des Gerichts irritiert.
LTO: Herr Hotstegs, Sie suchen ein verschwundenes Gericht, was hat es damit auf sich?
Robert Hotstegs: Ich suche die Bundesdisziplinarkammer X (römisch 10). Das war ab 1953 für etwa 14 Jahre ein Bundesgericht in Düsseldorf. Heute kann sich offenbar niemand daran erinnern und es sieht so aus, als ob dieses Gericht kaum Spuren hinterlassen habe. Dabei war es als Disziplinargericht für Bundesbeamte zuständig und hat als solches nicht nur frische, sondern auch ältere Fälle aus den 30er und 40er Jahren, sprich der NS-Zeit, der Nachkriegs- und der Besatzungszeit entschieden. Es wundert mich, dass man darüber kaum Informationen findet und deshalb will ich die Spuren suchen – und finden.
Wie sind sie auf das Thema gestoßen?
Zufällig. Wir verteidigen seit Jahren Beamtinnen und Beamte, wenn sie beschuldigt werden, gegen Dienstpflichten verstoßen zu haben und auch Soldatinnen und Soldaten in ihren ähnlich gelagerten Disziplinarfällen vor deren Spezialgerichten. Bei diesen Truppendienstgerichten oder im Wehrsenat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) sieht es allerdings etwas anders aus als bei sonstigen Gerichtsverfahren: Da steht vorne eine Truppendienstfahne neben der Richterbank und zwei der fünf Richterinnen bzw. Richter haben eine Uniform an.
Ich bin der Frage nachgegangen, wo und wie diese Gerichte normiert sind und stellte fest: Es gibt eine Anordnung für diese Truppendienstgerichte und eine nahezu identische Anordnung für alte Bundesdisziplinargerichte. Diese Gerichte gibt es nicht mehr, aber die alte Anordnung des Bundespräsidenten, die existiert noch. Der hat angeordnet, wie die Richter:innen und Bundesdisziplinaranwält:innen sich zu kleiden haben.
Die Vorsitzenden der Bundesdisziplinarkammern trugen danach nicht nur eine normale Robe, sondern auch ein Barett mit einer Schnur in Silber. Das habe ich noch nie gesehen, würde es aber gerne mal. So kamen in mir die Fragen auf: Was haben die für Fälle entschieden, wer hat an diesen Gerichten gearbeitet, wie haben die Richter – vermutlich waren es damals nur Männer – dort gearbeitet, und wo kamen die Richter im Jahr 1953 her? Diese Juristen müssen ja in der NS-Zeit oder kurz davor ihren Abschluss gemacht haben.
Was ich schon beobachtet habe ist, dass es im heutigen Disziplinarrecht Spuren gibt, die 100 Jahre und älter sind, einige Vorschriften hatten damals einen ähnlichen Wortlaut wie heute und wurden von Juristen auf ähnliche Sachverhalte angewendet. Vielleicht erklärt sich aus der Historie, wie sich manche Auslegungen entwickelt haben und woher gewisse rechtliche Konstruktionen kommen. Vielleicht erklärt sich sogar einiges aus dem anwaltlichen Berufsrecht, denn einige Formulierungen zu den Berufspflichten waren früher 1:1 mit Vokabeln belegt, die aus dem Disziplinarrecht stammen – der Staat hat also selbstständige Anwält:innen einem ähnlichen Konstrukt unterworfen, wie abhängige Beamte.
[…]
Rechtsanwalt Robert Hotstegs informiert über den Stand seiner Nachforschungen in unregelmäßigen Abständen auf einer Themenseite des Düsseldorfer Instituts für Dienstrecht unter www.difdi.eu.