Verfahrenslupe 🔍: ĂŒberlange Verfahrensdauer in der Kostenfestsetzung

In einem hier vertretenen Verfahren ist offenbar der Wurm drin. Seit Januar 2019 wird um die Kostenentscheidung(en) mal gerungen oder mal auf sie gewartet. Ob es hierfĂŒr einen sachlichen Grund gibt? Und ob das Land Nordrhein-Westfalen tatsĂ€chlich insgesamt 216.000,- € EntschĂ€digungen wegen ĂŒberlanger Verfahrensdauer auszahlen muss? Vier Jahre nach dem Berufungsurteil liegen nun abschließende Entscheidungen vor, von denen eine wohl noch korrigiert wird.

Das Verfahren eignet sich fĂŒr eine nĂ€here Betrachtung in der Verfahrenslupe:

Ausgangssituation

In der Hauptsache wurden ein erstinstanzliches Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof fĂŒr das Land Nordrhein-Westfalen und ein zweitinstanzliches Verfahren vor dem Bundesgerichtshof betrieben. In den Urteilen wurden folgende Kostengrundentscheidungen getroffen:

GerichtKostenentscheidung
Anwaltsgerichtshof fĂŒr das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 14.12.2018, Az. 1 AGH 39/17Die Beklagte trĂ€gt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen diese jeweils selbst.
Bundesgerichtshof, Urteil v. 07.12.2020, Az. AnwZ (Brfg) 19/19Die Kosten des Verfahrens erster Instanz werden wie folgt verteilt:
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der KlĂ€ger tragen die KlĂ€ger zu je 1/15, die Beklagte zu 13/30 und die Beigeladenen zu 1 bis 11, 13 und 15 zu je 1/30. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen die KlĂ€ger zu je 1/15. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 12 und 14 werden den KlĂ€gern auferlegt. Im Übrigen findet eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht statt.

Die Kosten des Verfahrens zweiter Instanz werden wie folgt verteilt:
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der KlĂ€ger tragen die KlĂ€ger zu je 1/15, die Beklagte zu 1/2 und die Beigeladenen zu 1 bis 3, 5, 7 bis 11, 13 und 15 zu je 1/30.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten werden den KlĂ€gern zu je 1/15 auferlegt. Im Übrigen findet eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht statt.

Nach der Entscheidung der ersten Instanz stand damit zunÀchst den beiden KlÀgern im Verfahren ein vollstÀndiger Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu. Nach der Entscheidung der zweiten Instanz bestand ein Kostenausgleichungsanspruch zwischen den Beteiligten.

Kostenausgleichungsverfahren im Einzelnen

Wir haben die Beklagte im Verfahren vertreten.

erster Teil

Erstmals mit gerichtlicher VerfĂŒgung vom 28.02.2019 wurde unsere Mandantin durch das Gericht darĂŒber informiert, dass ein KlĂ€ger einen Kostenfestsetzungsantrag vom 03.01.2019 zurĂŒckgenommen habe und unter dem 12.02.2019 einen neuen Kostenfestsetzungsantrag fĂŒr die erste Instanz gestellt habe.

Mit Schriftsatz vom 13.03.2019 haben wir die Übersendung an die Mandantin und die fehlende Übersendung an uns als BevollmĂ€chtigte gerĂŒgt, sowie darauf hingewiesen, dass der Antrag vom 03.01.2019 unbekannt sei.

Sodann erhielten wir mit gerichtlichem Schreiben vom 08.05.2019 den fehlenden Kostenfestsetzungsantrag des einen KlĂ€gers und den schon bekannten neuen Kostenfestsetzungsantrag (erneut) ĂŒbersandt; ebenso waren fĂŒr den weiteren KlĂ€ger ein Kostenfestsetzungsantrag vom 03.01.2019 und ein korrigierter Kostenfestsetzungsantrag vom 11.02.2019 beigefĂŒgt, die uns bislang unbekannt waren.

Zu diesem Zeitpunkt konnten wir aber im Zwischenergebnis feststellen: die KlĂ€ger hatten jedenfalls am 11.02. und 12.02.2019 jeweils ihre KostenfestsetzungsantrĂ€ge fĂŒr die erste Instanz gestellt. Das Gericht stellte diese AntrĂ€ge wegen des anhĂ€ngigen Berufungsverfahrens mit VerfĂŒgung vom 08.05.2019 zunĂ€chst zurĂŒck. (Dies ist in den meisten FĂ€llen pragmatisch und auch rĂŒckblickend wegen der Änderung der Kostenentscheidung in der zweiten Instanz nicht zu beanstanden.)

zweiter Teil

Nachdem dann am 07.12.2020 die zweitinstanzliche Entscheidung ergangen und diese rechtskrĂ€ftig geworden war, forderte das Gericht mit VerfĂŒgung vom 23.03.2022 die Beklagte zur Kostenanmeldung im Kostenausgleichungsverfahren auf und ĂŒbersandte zugleich KostenfestsetzungsantrĂ€ge des KlĂ€gerbevollmĂ€chtigten vom 19.01.2021 (!), sowie KostenfestsetzungsantrĂ€ge der beiden KlĂ€ger persönlich vom 13.12. und 14.12.2021. Die AntrĂ€ge korrigierten teilweise die zuvor gestellten und bezogen sich nunmehr auf die erste und zweite Instanz.

Mit Schriftsatz vom 28.04.2022 haben wir sodann fĂŒr die Beklagte Kosten zum Kostenausgleich angemeldet.

Zwischenergebnis: Ende April 2022 hatten beide KlÀger und ihr BevollmÀchtigter, sowie die Beklagte Kosten zum Kostenausgleich angemeldet. Weitere AntrÀge und Anmeldungen der Beigeladenen lagen nicht vor.

dritter Teil

Unter dem 02.11.2022 ergingen sodann vier KostenfestsetzungsbeschlĂŒsse, nĂ€mlich bezogen auf das VerhĂ€ltnis zwischen

  • der Beklagten und dem KlĂ€ger zu 1) in der ersten Instanz,
  • der Beklagten und dem KlĂ€ger zu 1) in der zweiten Instanz,
  • der Beklagten und dem KlĂ€ger zu 2) in der ersten Instanz und
  • der Beklagten und dem KlĂ€ger zu 2) in der zweiten Instanz.

Die BeschlĂŒsse wurden am 17.11.2022 zugestellt.

Da die von uns fĂŒr die Beklagte angemeldeten Kosten teilweise abgelehnt worden waren, haben wir unter dem 22.11.2022 im Namen der Beklagten Erinnerung gegen alle vier BeschlĂŒsse eingelegt. Unter dem 01.12.2022 haben wir sodann auch im eigenen Namen als bevollmĂ€chtigte Rechtsanwaltsgesellschaft Erinnerung gegen die beiden KostenfestsetzungsbeschlĂŒsse eingelegt, die sich auf die erste Instanz bezogen. Hierbei haben wir gerĂŒgt, dass unsere gesetzlichen RechtsanwaltsgebĂŒhren nach dem – aus unserer Sicht – falschen GebĂŒhrentatbestand festgesetzt wurden.

Zwischenergebnis: Gegen die zwei KostenfestsetzungsbeschlĂŒsse, die sich auf die erste Instanz bezogen, waren damit jeweils zwei (also insgesamt vier) Erinnerungen anhĂ€ngig, gegen die zwei KostenfestsetzungsbeschlĂŒsse, die sich auf die zweite Instanz bezogen, waren zwei Erinnerungen anhĂ€ngig gemacht worden.

vierter Teil

Nachdem im MÀrz 2023 eine Stellungnahme eines KlÀgers in den Erinnerungsverfahren erfolgte, haben wir hierauf im April 2023 sowohl im Namen der Beklagten wie auch im eigenen Namen erwidert.

Nachdem bis zum 23.10.2023 keine Entscheidung ĂŒber die Erinnerungen der Beklagten ergangen war, haben wir sodann fĂŒr diese eine erste VerzögerungsrĂŒge erhoben.

Sodann ergingen unter dem 03.11.2023 vier neue KostenfestsetzungsbeschlĂŒsse, mit denen die ursprĂŒnglichen KostenfestsetzungsbeschlĂŒsse teilweise – entsprechend unserem Antrag – abgeĂ€ndert wurden. Damit entsprach das Gericht unseren Erinnerungen, die wir im eigenen Namen als ProzessbevollmĂ€chtigte erhoben hatten, vollstĂ€ndig. Den Erinnerungen, die wir fĂŒr die Beklagte erhoben hatten, war noch nicht vollstĂ€ndig entsprochen worden. Daher enthielten alle vier KostenfestsetzungsbeschlĂŒsse vom 03.11.2023 folgenden Tenor:

„Der weitergehenden Erinnerung wird nicht abgeholfen.

Die Sache wird dem Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen in Hamm zur Entscheidung vorgelegt.“

Zwischenergebnis: noch immer war ĂŒber den Kostenausgleich nicht abschließend entschieden, vier Erinnerungsverfahren waren noch beim Anwaltsgerichtshof anhĂ€ngig.

fĂŒnfter Teil

In den noch anhĂ€ngigen Erinnerungsverfahren haben wir mit Schriftsatz vom 03.01.2024 unsere geltend gemachten Erstattungen noch einmal ergĂ€nzend begrĂŒndet.

Zu unserer großen Überraschung erhielten wir schon am 19.01.2024 einen Beschluss des Gerichts zugestellt. Es war aber nicht etwa ein Beschluss in den uns bekannten Erinnerungsverfahren, sondern es war ein ablehnender Beschluss vom 08.01.2024 ĂŒber eine Erinnerung nun von KlĂ€gerseite. Diese hatte ihrerseits mit Schriftsatz vom 04.12.2023 die Entscheidung des Gerichts gegen die neuen KostenfestsetzungsbeschlĂŒsse vom 03.11.2023 beantragt.

Diese Erinnerungen waren uns unbekannt, wir erhielten sie erst mit dem Nichtabhilfebeschluss der Kostenbeamtin. Auch dieser Beschluss enthielt den Tenor:

„
wird 
 nicht abgeholfen und die Sache dem Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen in Hamm zur weiteren Entscheidung vorgelegt.“

sechster Teil

Sodann passierte nichts. Als nach einem halben Jahr kein Fortgang zu erkennen war, erhoben wir unter dem 19.07.2024 fĂŒr die Beklagte eine erneute (2.) VerzögerungsrĂŒge.

Das Gericht reagierte sofort und erkundigte sich nach dem Sachverhalt, da sich die Akte offenbar versehentlich in der Ablage befand und dem Senat nicht vorgelegt worden war.

Was dann geschah, blieb uns zunĂ€chst noch unbekannt. Wir haben daher unter dem 08.10.2024 um eine formlose Sachstandsmitteilung gebeten. Mit VerfĂŒgung vom 09.10.2024 teilte das Gericht sodann mit, dass ĂŒber die noch anhĂ€ngigen Erinnerungen wohl abschließend entschieden worden sei. Die BeschlĂŒsse befĂ€nden sich „zur Zeit in der Kanzlei zur Zustellung an die Beteiligten“.

Am 17.10.2024 lĂŒftete sich das Geheimnis sodann teilweise: der Anwaltsgerichtshof hat nun durch den zustĂ€ndigen Senat mit Beschluss vom 27.08.2024 die Erinnerungen der beiden KlĂ€ger (aus dem fĂŒnften Teil) zurĂŒckgewiesen.

Auch seine Entscheidung ĂŒber die Erinnerungen der Beklagten (aus dem vierten Teil) hat der Senat am selben Tag getroffen und am 23.10.2024 zugestellt. Da der Tenor die BegrĂŒndung des teilweise stattgebenden Beschlusses nicht wiedergibt, ist hier die Frage einer Beschlussberichtigung noch anhĂ€ngig.

Wir bleiben gespannt.

Ergebnis

Auch wenn ein Kostenfestsetzungs- und -ausgleichungsverfahren zwischen insgesamt zwei KlĂ€gern, einer Beklagten, 15 Beigeladenen und einer Gerichtskasse zunĂ€chst unĂŒbersichtlich erscheint, sind im vorliegenden Verfahren nur von drei Seiten fĂŒr zwei Instanzen AusgleichungsantrĂ€ge gestellt worden.

Gerade deshalb ist es doch ĂŒberraschend, dass die Kostenfestsetzungsverfahren jedenfalls nach Rechtskraft der Berufungsentscheidung

  • im Jahr 2021 vermutlich ĂŒberhaupt nicht,
  • im Jahr 2022 zwischen Mai und Oktober nicht sichtbar,
  • im Jahr 2023 ebenfalls zwischen Mai und Oktober nicht erkennbar und
  • im Jahr 2024 zwischen Februar und August ebenfalls nicht erkennbar

durch das Gericht betrieben wurde.

Die Verzögerungen ĂŒberschreiten bei kulanter Berechnung wohl insgesamt 30 Monate. Der Gesetzgeber hat in § 198 Abs. 2 S. 3 GKG zum Ausdruck gebracht, dass fĂŒr jeden Monat der unangemessenen Dauer eine EntschĂ€digung von 100,- € festgesetzt werden könnte. HĂ€tten alle insgesamt 18 Parteien daher VerzögerungsrĂŒgen fĂŒr 30 Monate erhoben, entsprĂ€che dies einer EntschĂ€digung in Höhe von (jedenfalls theoretisch) 54.000,- €. WĂŒrde man sich an der Zahl der KostenfestsetzungsbeschlĂŒsse orientieren, gegen die ja auch gesondert Rechtsmittel einzulegen waren, wĂ€ren sogar vier Verfahren derart verzögert, die theoretische EntschĂ€digungssumme wĂŒrde dann ganze 216.000,- € betragen.

18 Parteien * 30 Monate * 100,- € * 4 KostenfestsetzungsbeschlĂŒsse = 216.000,- €

TatsĂ€chlich hat – soweit bislang bekannt – nur die Beklagte VerzögerungsrĂŒgen erhoben. Aber auch ihr EntschĂ€digungsanspruch könnte 3.000,- € betragen. Schon dies wĂŒrde den Wert der in den KostenfestsetzungsbeschlĂŒssen ausgesprochenen Kostenerstattungen ĂŒbersteigen.

Die GrĂŒnde fĂŒr die Verzögerungen im hier beschriebenen Kostenfestsetzungsverfahren können vielfĂ€ltig sein. Der Verfasser selbst ist Mitglied eines ehrenamtlichen Gerichts und ehrenamtliches Mitglied eines staatlichen Gerichts gewesen und hat dort zur Verzögerung von Verfahren beigetragen. UnabhĂ€ngig aber vom jeweiligen Auslöser einer Verzögerung droht das Vertrauen der Betroffenen in den gerichtlichen Rechtsschutz zu schwinden. Wie ĂŒberrascht werden wohl die Beigeladenen sein, wenn sie nun Ende 2024 und damit knapp vier Jahre nach der Berufungsentscheidung die letzten Kostenentscheidungen erhalten?

Die Gerichte mĂŒssen ebenso wie das Land als TrĂ€ger der Gerichtsbarkeit ein Interesse daran haben, auch ĂŒberlange Kostenfestsetzungsverfahren zu vermeiden.

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