„RadEntscheide sind zu komplex“, Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil v. 15.03.2024, Az. 15 K 1844/22

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte kürzlich über einen sogenannten RadEntscheid zu befinden. RadEntscheide sind typischerweise Bürgerbegehren, die darauf abzielen ein Gesamtkonzept zur Radverkehrsplanung in der jeweiligen Gemeinde zur Abstimmung in einem Bürgerentscheid zu bringen. Häufig sind mehrere Fachmaßnahmen für einen bestimmten Zeitraum angesetzt, die auch durch Öffentlichkeitsarbeit und Personal flankiert oder abgesichert werden.

Der Rat der Stadt hatte den RadEntscheid für unzulässig befunden und hiergegen richtete sich die vorliegende Klage. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und hierbei sowohl in prozessualer wie auch in materiellrechtlicher Hinsicht eine Vielzahl von Grundsätzen angesprochen, sodass die Entscheidung über das einzelne Bürgerbegehren hinaus von grundsätzlicher Bedeutung ist:

eigene Leitsätze

  • Richtige Klageart für die Vertretungsberechtigten eines Bürgerbegehrens ist in Nordrhein-Westfalen die Verpflichtungsklage. Sie richtet sich gegen die Gemeinde als Rechtsträgerin des jeweiligen Rates und den von ihr verantworteten Verwaltungsakt. Ein gesonderter Klageantrag gegen den Ratsbeschluss ist nicht erforderlich.
  • Der Rücktritt eines Vertretungsberechtigten gegenüber der Gemeinde ist unproblematisch, das Klagerecht wächst den verbleibenden Vertretungsberechtigten zu.
  • Eine salvatorische Klausel bleibt für Bürgerbegehren theoretisch denkbar, allerdings nur bei vollständig voneinander abgrenzbaren Teilbereichen.
  • Im Übrigen stehen das Kopplungsverbot und der Bestimmtheitsgrundsatz Bürgerbegehren mit einem Programm unterschiedlicher Maßnahmen entgegen. Dass diese Maßnahmen sprachlich und thematisch im Bürgerbegehrenstext zusammengefasst werden und sozusagen eine gemeinsame „Klammer“ haben, führt nicht zur Zulässigkeit, sondern unterstreicht aus Sicht des Gerichts die Unzulässigkeit des Begehrens.

Die Entscheidung lautet im Volltext:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens als Ge­samtschuldnerinnen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleis­tung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils voll­streckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens.

Mit Schreiben vom 1. März 2021 kündigten die Klägerinnen sowie der zu diesem Zeitpunkt noch weitere Vertreter der Bürgerinitiative „RadEntscheid Bochum“, Herr C., gegenüber der Beklagten an, ein Bürgerbegehren durchführen zu wollen. Hierzu erbaten sie Unterstützung in Form einer Beratung und Kostenschätzung.

Dem Schreiben war ein Entwurf des beabsichtigten Bürgerbegehrens beigefügt. Mit diesem sollte die Frage beantwortet werden: „Soll die Stadt Bochum die folgenden sieben verkehrspolitischen Ziele in den nächsten neun Jahren umsetzen?“ Der Ent­wurf enthielt eine Begründung für das beabsichtigte Bürgerbegehren sowie eine Auf­listung der von der Frage in Bezug genommenen verkehrspolitischen Ziele unter de­ren näherer Darstellung (für den konkreten Inhalt wird auf Blatt 3 der Beiakte Heft 1 Bezug genommen, die Textfassung ist ferner abrufbar unter: https://www.radentscheid-bochum.de/wp‑
content/uploads/2021/07/20210710_Radentscheid_Bochum_Text-neu_DRUCK.pdf).
Mit Schreiben vom 21. Juni 2021 übersandte die Beklagte die Kostenschätzung zum Bürgerbegehren nach § 26 Abs. 2 GO NRW. Aus dieser ergaben sich geschätzte Gesamtkosten in Höhe von 427.500.000,00 Euro. Die Beklagte ergänzte, gewisse Aspekte des formulierten Bürgerbegehrens gäben Anlass zu Zweifeln an dessen Zu­lässigkeit.

Am 8. Juli 2021 fand ein Abstimmungsgespräch zwischen Vertretern der Bürgerinitia­tive – unter anderem den Klägerinnen – und Vertretern der Beklagten statt. In diesem einigten sich die Anwesenden darüber, dass die Kostenschätzung nur auszugsweise mit der Unterschriftenliste verbunden sein müsse, bei einer Unterschrift jedoch voll­ständig zur Einsicht zur Verfügung stehen müsse. Im Hinblick auf die Frage der Zu­lässigkeit der Forderungen erörterten die Anwesenden das Erfordernis konkreter Formulierungen. Das Gespräch sollte nicht die Zulässigkeitsprüfung des Rates er­setzen.

Mit Schreiben vom 17. Dezember 2021, eingegangen bei der Beklagten am gleichen Tag, überreichten die damaligen Vertreter der Bürgerinitiative – die Klägerinnen und Herr C. – die Unterschriftenlisten und beantragten die Einleitung und Durchfüh­rung eines Bürgerbegehrens nach § 26 GO NRW.

Mit Beschlussvorlage vom 14. März 2022 legte die Verwaltungsabteilung der Beklag­ten dem Rat das Bürgerbegehren zur Entscheidung über dessen Zulässigkeit vor. Diese enthielt den Vorschlag, durch Beschluss die Unzulässigkeit des Bürgerbegeh­rens festzustellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, ein Bürgerbegehren habe das Ziel, in der Gemeinde über eine bestimmte Frage einen Bürgerentscheid durchzufüh­ren. Dieser habe die Wirkung eines Ratsbeschlusses. Das streitgegenständliche Be­gehren sei unzulässig, weil es zum Teil unterschiedliche, nicht im unmittelbaren Zu­sammenhang stehende Maßnahmen koppele und daher dem Begehrenstext der er­forderliche einheitliche Fragegegenstand fehle. Das Bürgerbegehren weise zudem keine eigenen Sachentscheidungen an Stelle des Rates auf, sondern enthalte ledig­lich Vorgaben für künftige Entscheidungen der Stadtverwaltung bzw. des Rates. Die diversen unbestimmten Inhalte der sieben Ziele ließen eine eindeutige Meinungsbil­dung hinsichtlich der Ziele des Bürgerbegehrens nicht zu.

Vgl. zum konkreten Inhalt der Beschlussvorlage: https://www.spd-bochum.de/wp‑
content/uploads/sites/300/2022/03/Radentscheid_Beschlussvo rlage_der_Verwaltung_20220037.pdf.

Mit Schreiben vom 21. März 2022 teilte die Beklagte den Klägerinnen den Termin zur Entscheidung über das Begehren durch den Rat in dessen Sitzung am 1. April 2022 mit und wies auf das Ergebnis des eingeholten Rechtsgutachtens hin.
In der Ratssitzung vom 1. April 2022 fasste der Rat mit 67 gegen acht Stimmen fol­genden Beschluss:

„Der Rat stellt gemäß § 26 Abs. 6 der GO NRW fest, dass das Bürgerbegehren „RadEntscheid“ nach den gesetzlichen Vorgaben hierfür nicht zulässig ist.“

Mit Schreiben vom 5. April 2022 wurde den zum damaligen Zeitpunkt drei Vertretern des Bürgerbegehrens die Entscheidung des Rates über die Unzulässigkeit des Bür­gerbegehrens mitgeteilt. Die Schreiben waren mit einer Rechtsbehelfsbelehrung ver­sehen. Mit Schreiben vom 14. April 2022 trat Herr C. gegenüber der Beklagten von seinem Amt als Vertretungsberechtigter des Bürgerbegehrens zurück.

Die Klägerinnen haben am 28. April 2022 Klage erhoben.

In seiner Ratssitzung vom 5. Mai 2022 hat der Rat der Beklagten mehrheitlich für einen Antrag der Fraktionen „Die SPD im Rat“, „Die Grünen im Rat“, „CDU-Fraktion“ und „FDP-Fraktion“ gestimmt. Dieser hatte den Inhalt, der Radverkehrsplanung, dem Radwegeausbau und der Unterhaltung der Radwege folgende (sodann im einzelnen aufgeführte) Ziele zugrunde zu legen. Die aufgeführten Ziele orientierten sich nach ihrem Inhalt an den Zielen des Bürgerbegehrens, wichen in ihren inhaltlichen Ausge­staltungen im Detail jedoch teilweise davon ab. Zum konkreten Inhalt der Antragstel­lung und Beschlussfassung wird auf Blatt 232 ff. des Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Die Klägerinnen machen zur Begründung ihrer Klage im Wesentlichen folgendes gel­tend: Die Klage sei als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig und begrün­det. Die Beklagte sei zunächst der richtige Klagegegner. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (2 BvR 2203/18) handele es bei dem Rechtsverhält­nis zwischen den Klägerinnen als Vertretungsberechtigte eines Bürgerbegehrens einerseits und dem Rat der beklagten Stadt andererseits um einen Organstreit be­sonderer, wohl eigener Art. Die Klage sei begründet, soweit sie auf Aufhebung der „Bescheide“ vom 5. April 2022 gerichtet sei. Die Klage habe bereits deshalb Erfolg, weil die Beklagte gegenüber den Klägerinnen keinen Verwaltungsakt habe erlassen dürfen.

Das Bürgerbegehren sei zulässig. Die Gesetzeshistorie zu § 26 GO NRW lasse er­kennen, dass den Mitwirkungs- und Entscheidungsmöglichkeiten im Rahmen eines Bürgerbegehrens keine allzu hohen bürokratischen Hürden entgegenstehen sollen. Daher sollten durch eine praxisorientierte Auslegung einzelner Textpassagen im Sin­ne des Begehrens Bedenken, die einer Bejahung der Zulässigkeit entgegenstehen könnten, überwunden werden.

Das Bürgerbegehren sei formell zulässig. Die Unterschriftenlisten wiesen alle erfor­derlichen Bestandteile auf. Die Begründung der zur Entscheidung zu bringenden Frage diene dem Zweck, die Unterzeichnenden über den Sachverhalt und die Argu­mente der Initiierenden aufzuklären. Ausreichend seien kurze Begründungen. Diesen Anforderungen genüge die Begründung in dem blauen Textfeld. Sie gebe Auskunft über die Beweggründe und Erwartungen, die die Initiierenden des Bürgerbegehrens mit den zur Entscheidung gestellten verkehrspolitischen Zielen verbänden. Auch die Kostenschätzung der Verwaltung sei bei der Sammlung der Unterschriften angege­ben worden. Ferner werde das erforderliche Quorum eingehalten.

Das Begehren sei auch auf eine bestimmte Frage gerichtet, die sich gemäß § 26 Abs. 7 Satz 1 GO NRW nur mit „ja“ oder „nein“ beantworten lasse. Die Frage müsse aus der Sicht eines verständigen Bürgers aus sich heraus verständlich sein. Gerade mit Blick auf die Funktion der Frage für einen etwaigen späteren Bürgerentscheid, der einen Ratsbeschluss ersetze, müsse die Frage selbst aus Gründen der Rechts­klarheit und Rechtssicherheit so eindeutig formuliert sein, dass sie auch bei isolierter Betrachtung keinen Zweifel an ihrem Inhalt aufkommen lasse. Ein Bürgerbegehren müsse sich demnach auf eine konkrete, durch die Bürgerschaft zu treffende Sach­entscheidung richten. Zwar dürfe sich ein Bürgerbegehren nach der Formulierung des § 26 Abs. 1 GO NRW nur auf eine einzige Angelegenheit beziehen, eine Vermi­schung mehrerer Angelegenheiten in einem Begehren sei nicht zulässig. Dies schließe jedoch nicht aus, dass zu einer Angelegenheit gleich mehrere Fragen ge­stellt würden, die in einem Sachzusammenhang stünden. Vorliegend sei nach objek­tiver Beurteilung ein enger inhaltlicher Zusammenhang zwischen den einzelnen Maßnahmen, die als Ziele formuliert seien, zu sehen. Die Zielsetzungen beträfen al­lesamt den Ausbau und die damit einhergehende Verbesserung der Radinfrastruktur in der beklagten Stadt. Die Sicherheit des Fahrradverkehrs und die daraus folgende Attraktivität sollten gefördert werden. Um dies bewirken zu können, solle ein durch­gängiges, engmaschiges Radwegenetz erstellt werden. Dabei sollten sowohl die Kreuzungen als auch die Radwege sicherer gestaltet werden. Zudem sollten Radschulwegpläne erstellt und Fahrradstellplätze ausgebaut werden. Zur weiteren Förderung solle ein jährlicher Bericht über den Umsetzungsstand der Ziele veröffent­licht werden. Der Sachzusammenhang der einzelnen Ziele im Sinne der zur Ent­scheidung gebrachten Frage sei vorliegend zu bejahen, da die im Text beschriebe­nen (Teil-)Ziele materiell mit der Abstimmungsfrage eng verknüpft seien. Aus der Verbindung mehrerer Anliegen folge, dass über die Gesamtheit der mit der Frage­stellung in Bezug genommenen Anliegen nur einheitlich mit „ja“ oder „nein“ abge­stimmt werden könne. Wer bei der Abstimmung mit „nein“ stimme, stimme der Um­setzung mindestens eines der verkehrspolitischen Ziele nicht zu. Wer mit „ja“ stimme, stimme der Umsetzung aller verkehrspolitischer Ziele zu. Nicht zu beanstanden sei, dass die Unterzeichnenden damit vor die Entscheidung gestellt würden, das An­tragsbegehren nur einheitlich mit „ja“ oder „nein“ beantworten zu können. Im Falle einer unterschiedlichen Bewertung der Ziele durch die Abstimmenden, hätten diese abzuwägen und eigenverantwortlich zu entscheiden, welcher der gebotenen Alterna­tiven sie den Vorrang geben wollten. Dies führe jedoch nicht zur Unzulässigkeit des Begehrens.

Das Bürgerbegehren sei auch hinreichend bestimmt. Gegenstand eines Bürgerbe­gehrens müsse eine Sachentscheidung in einer Angelegenheit der Gemeinde sein, die andernfalls vom Rat zu treffen sei und sich unzweideutig aus dem Text des Bür­gerbegehrens ergebe. Für eine lediglich resolutionsartige Meinungskundgabe lägen aufgrund der ausführlichen Beschreibungen der Ziele und Maßnahmen, die mit der Abstimmungsfrage inhaltlich verbunden seien, hier keine Anhaltspunkte vor. Das Bürgerbegehren werde auch den Anforderungen der Rechtsprechung gerecht, wo­nach ein Bürgerbegehren unzulässig sei, bei welchem die Fragestellungen nicht auf eine Entscheidung anstelle des Rates gerichtet sei, sondern gleichsam vorgelagert eine noch zu treffende Entscheidung des Rates vorprägten. Durch einen Bürgerent­scheid könnten durchaus auch Grundsatzentscheidungen getroffen werden, die noch durch Detailentscheidungen im Kompetenzbereich des Rates ausgefüllt werden müssten. Hier lasse die Fragestellung erkennen, welchen Inhalt die spätere, durch den Bürgerentscheid herbeizuführende Entscheidung haben werde. Die für die Ent­scheidung maßgeblichen Angaben ergäben sich aus dem Text des Bürgerbegeh­rens. Durch die Beschreibung der Ziele und der diesen Zielen zugeordneten Maß­nahmen könne der Bürger den Inhalt des von ihm durch seine Unterschrift unter­stützten Begehrens zweifelsfrei zur Kenntnis nehmen.

Das Begehren sei auch materiell zulässig. Es betreffe eine Angelegenheit der Ge­meinde, für deren Entscheidung der Rat die Organkompetenz besitze. Auch liege keine Angelegenheit des sog. Negativkatalog des § 26 Abs. 5 GO NRW vor.

Das Bürgerbegehren sei auch unter Berücksichtigung der Tatsachen- und Beschlussentwicklung im April und Mai 2022 weiterhin zulässig. Eine teilweise Erledigung sei nicht eingetreten. Ein Textvergleich zeige, dass die Ratsbeschlüsse vom 5. Mai 2022 hinter dem streitgegenständlichen Bürgerbegehren zurückblieben. Die wichtigsten inhaltlichen Unterschiede zwischen dem Ratsbeschluss und dem Bür­gerbegehren „Radentscheid“ ließen sich in den Punkten Qualität, Quantität und Ver­bindlichkeit zusammenfassen. Hinsichtlich der Qualität etwa wiesen die Ratsbe­schlüsse keinen zeitlichen Horizont auf. Damit sei unklar, wie lange die Beschlüsse Geltung hätten. Folglich sei die Gesamtsumme des Radwegeausbaus in Kilometern ebenfalls unklar. Das Bürgerbegehren und die Ratsbeschlüsse verwendeten unter­schiedliche Begriffe: Radwegekilometer (Ratsbeschluss) bzw. Straßenkilometer (Bürgerbegehren). In den Verhandlungen mit der SPD im Vorfeld des Ratsbeschlus­ses sei der Begriff „Radwegekilometer“ so definiert worden, dass ein beidseitiger Radweg auf einer Straße als zwei Radwegkilometer zähle. Der Begriff Straßenkilo­meter zähle diesen jedoch nur als einen Kilometer Radweg. Das zeige, dass im Ratsbeschluss nur scheinbar fast die gleiche Menge an jährlich zu bauenden Rad­wegen aufgeführt werde. Der Ratsbeschluss könne daher eine deutlich geringere Menge an zu bauenden Radwegen zur Folge haben. Auf Grund der Beschlussfas­sung sei völlig unklar, ob die Ratsbeschlüsse sich auf dieselben Straßen bezögen, wie die Forderungen des Bürgerbegehrens. Das Bürgerbegehren lege verbindliche Forderungen zum Ausbau der Kilometerzahl und zu den Ausbau-Standards fest. Diese Verbindlichkeit sei in den Ratsbeschlüssen durch Soll-Formulierungen bei den Standards, Relativierungen wie den Verweis auf die „Leistungsfähigkeit der Straßen, im Hinblick auf andere Verkehrsarten“, die nur vorläufige Festlegung von bestimmten Hauptstraßen und den fehlenden Zeithorizont nicht mehr gegeben. Damit liege be­reits objektiv keine Erledigung vor, jedenfalls aber stünden die Beschlussfassungen dem Bürgerbegehren nicht entgegen, da sie von diesem „verstärkt“ würden. Das Be­gehren enthalte unabhängig davon ausdrücklich die Ermächtigung, auch nach einer teilweisen Erledigung die weiteren Teile des Begehrens weiterzuverfolgen.
Die Klägerinnen beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 5. April 2022 zu verpflichten, die Zulässigkeit des Bürgerbe­gehrens „RadEntscheid Bochum“ festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrags führt die Beklagte im Wesentlichen folgendes aus: Die Klage sei unzulässig. Die Beklagte sei bereits der falsche Klagegegner. Die Ent­scheidung zur Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens treffe gemäß § 26 Abs. 6 GO NRW der Rat, gegen welchen sich die Klage somit zu richten habe.

Der Rat habe in der Sitzung am 1. April 2022 über den Antrag mehrheitlich beschlos­sen und diesen abgelehnt. Aus Rechtssicherheitsgründen sei der Antrag unter TOP 2.11 erneut in die Ratssitzung am 5. Mai 2022 eingebracht und wiederum mehrheitlich beschlossen worden. Der in der Ratssitzung vom 5. Mai 2022 beschlos­sene Antrag greife große Teile des eingereichten Bürgerbegehrens auf und sehe de­ren Umsetzung vor.

Vor diesem Hintergrund habe sich das Anliegen des eingereichten Bürgerbegehrens zumindest in Teilen erledigt. Daher bestünden Zweifel, ob für die beantragte Zuläs­sigkeitsentscheidung noch ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben sei. Der beschlosse­ne Antrag nehme ausdrücklich die Ansätze des Bürgerbegehrens auf und überneh­me dessen einzelnen Überschriften. Der angeführte Beschluss des Rates der Be­klagten werde auch kontinuierlich und sukzessive umgesetzt. So seien zunächst die beschlossenen Maßnahmen in 13 Maßnahmenpakete überführt worden. Diese und die im Beschluss geforderten Sofortmaßnahmen seien dem Rat im Jahr 2022 mit der Vorlage Nr. 20222463 dargestellt worden. Des Weiteren sei zwischenzeitlich das Radverkehrskonzept 2023 beschlossen worden, wie sich aus der Beschlussvorlage Nr. 20230262 vom 1. Februar 2023 ergebe. Der im Ratsbeschluss geforderte jährli­che Bericht zum Umsetzungsgrad sei mit Vorlage Nr. 20233358 vorgelegt und stelle die im einzelnen umgesetzten Maßnahmen dar.

Die Klage sei zudem unbegründet. Zur Begründung bezieht sich die Beklagte zu­nächst auf die Begründung der angegriffenen Bescheide vom 5. April 2022, die Vor­lage zur Beschlussfassung des Rates Nr. 20220037 (Bl. 100 – 102 des Verwaltungs­vorgangs, Beiakte Heft 1) sowie ein Gutachten von Prof. Hofmann vom 14. März 2022 (vgl. Bl. 60 – 99 des Verwaltungsvorgangs, Beiakte Heft 1). Ergänzend führt sie aus, das Bürgerbegehren „RadEntscheid Bochum“ verkoppele (zum Teil) unter­schiedliche, nicht in unmittelbarem Zusammenhang untereinanderstehende Maß­nahmen. Damit fehle dem Begehrenstext der erforderliche einheitliche Fragegegen­stand. Das Bürgerbegehren weise weder in seiner Einleitungsfrage noch in den ge­nannten sieben Einzelzielen eigene Sachentscheidungen an Stelle des Rates auf, sondern enthalte lediglich Vorgaben für künftige Entscheidungen der Stadtverwaltung/des Rates. Die diversen unbestimmten Inhalte der sieben Ziele ließen eine ein­deutige Meinungsbildung der Unterzeichnenden hinsichtlich der betroffenen Ziele des Bürgerbegehrens nicht zu.

Zum Vorbringen der Beteiligten und zum Sachverhalt im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

I. Die Klage ist zulässig.

Die Klägerinnen begehren mit ihrer Klage nach Auslegung des Klagebegehrens ge­mäß § 88 VwGO die Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens „RadEntscheid Bochum“.
Dies kann zulässigerweise mit der hier – ausweislich des mit der Klageschrift vom 28. April 2022 angekündigten Klageantrags – erhobenen Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO erreicht werden. Soweit die Klagebegründung vom 5. Februar 2024 ausführt, es handele sich bei der vorliegenden Streitigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,

vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2019 – 2 BvR 2203/18 –, juris,

und der entscheidenden Kammer,

vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 13. November 2019 – 15 K 2349/19 –, juris Rn. 70 ff.,

um einen Organrechtsstreit besonderer Art, die Klage müsse bereits deshalb Erfolg haben, weil die Beklagte schon keine Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes habe, welcher daher aufzuheben sei, setzt sie sich in Widerspruch zu dem angekün­digten ausdrücklichen Klageantrag. Das Vorbringen steht insoweit nicht in Einklang mit dem erkennbaren vorgenannten Begehren der Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens.

Ihr Klagebegehren können die Klägerinnen zulässigerweise mit der erhobenen Ver­pflichtungsklage verfolgen. Die Feststellung der Unzulässigkeit eines Bürgerbegeh­rens durch den Rat gemäß § 26 Abs. 6 Satz 1 GO NRW ist nach der neueren Recht­sprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, auch im Lichte der vorerwähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur hessi­schen Gemeindeordnung, nach der hier maßgeblichen Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen (weiterhin) ein Verwaltungsakt.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 7. Oktober 2020 – 15 A 2927/18 –, juris Rn. 65 ff., und vom 8. November 2022 – 15 A 2441/20 – juris 49-56.

Im Hinblick auf die dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen für das Landesrecht letztinstanzlich zustehende Auslegungskompetenz zur Verein­heitlichung der Rechtsprechung hält die Kammer an ihrer, zeitlich vor einer Äußerung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen aufgebrachten, Rechtsprechung (15 K 2349/19) nicht weiter fest.

Die Klage ist demgemäß zutreffend gegen die beklagte Stadt, vertreten durch ihren Oberbürgermeister, gerichtet (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Sie ist Rechtsträgerin des Rates als handelndes Organ.

Den Klägerinnen fehlt nicht das für die Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Nach § 26 Abs. 6 Satz 5 GO NRW unterbleibt der Bürgerentscheid, wenn der Rat dem Bürgerbegehren entspricht. In diesen Fällen tritt auch eine Erledigung des Bür­gerbegehrens ein. Wann konkret von einem „Entsprechen“ im Sinne des § 26 Abs. 6 Satz 5 GO NRW auszugehen ist, richtet sich nach dem konkreten Inhalt und Gegen­stand des Bürgerbegehrens. Erforderlich ist, dass sich das Begehren sachlich und inhaltlich erledigt hat. Ein „Entsprechen“ kann auch dann anzunehmen sein, wenn der Rat die mit dem Begehren verlangte Maßnahme lediglich mit unwesentlichen Abweichungen beschließt.

Vgl. Dietlein/Peters in: Dietlein/Heusch, Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen, 2023, § 26 Rn. 66 f.

Zwar hat der Rat der Beklagten durch Beschluss vom 5. Mai 2022 mehrheitlich zu­stimmend über den Antrag „Radverkehr in Bochum“ (Vorlage Nr. 20221092) der Fraktionen „Die SPD im Rat“, „Die Grünen im Rat“, „CDU-Fraktion“ und „FDP-Fraktion“ entschieden. In der Folgezeit hat die Beklagte ausweislich ihrer Angaben in der Klageerwiderung vom 29. Februar 2024 bereits 13 Maßnahmepakete erstellt, denen konkrete Sofortmaßnahme zugrunde lagen. Der Beschluss vom 5. Mai 2022 greift die Ziele und Überschriften des Bürgerbegehrens „RadEntscheid Bochum“ auf. Die Inhalte der jeweiligen Ziele orientieren sich zudem maßgeblich an denen des Bürgerbegehrens. Sie weichen jedoch im Detail in Bezug auf ihre inhaltlichen Ausge­staltungen teilweise davon ab beziehungsweise bleiben teilweise dahinter zurück. Daher entspricht der Beschluss vom 5. Mai 2022 dem Bürgerbegehren jedenfalls nicht vollumfänglich, sodass durch diesen Beschluss noch keine Erledigung des Bür­gerbegehrens eingetreten ist. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die von den Kläge­rinnen geltend gemachten Formulierungen zu „Straßenkilometern“ und „Radwegekilometern“, wonach ein Radwegekilometer auch ein solcher sein kann, der auf beiden Fahrbahnseiten ausgebaut ist, wohingegen ein mit dem Bürgerbegehren geforderter Straßenkilometer dies nicht ermöglicht. Auch in Bezug auf die weiteren im Bürgerbe­gehren formulierten Ziele bleibt der Ratsbeschluss vom 5. Mai 2022 inhaltlich sowohl in Bezug auf die Quantität der Maßnahmen als auch in Bezug auf deren tatsächliche finale Durchführung zurück. So sollen ausweislich des Beschlusses vom 5. Mai 2022 im Radhauptroutennetz durchschnittlich jährlich sieben Radwegekilometer geplant und ausgebaut werden, im Bürgerbegehren ist insoweit unter Ziel 1. der Ausbau von mindestens acht Straßenkilometern festgelegt. Der Beschluss vom 5. Mai 2022 hält zudem sprachliche „Aufweichungen“ zur finalen Durchführung der im Bürgerbegeh­ren geforderten Maßnahmen. So ist zu Ziel 2. (Anforderungen an die Gestaltung der Radinfrastruktur) festgelegt, dass dieses „grundsätzlich“ auf ganzer Länge vom Fuß­verkehr getrennt ausgebaut werden solle und „grundsätzlich“ gemäß den gültigen Regelwerken der Empfehlungen für Fußgängeranlagen (EFA) und Radverkehrsanlagen (ERA) geplant und ausgebaut werden sollen. Derartige sprachliche Einschrän­kungen enthält das Bürgerbegehren nicht. Ebensolche sprachliche Einschränkungen enthält der Ratsbeschluss vom 5. Mai 2022 auch in Bezug auf das Ziel 3. (Sicherheit zuerst). Der Beschluss verzichtet auf eine besondere Hervorhebung der vorrangigen Beseitigung von Gefahren durch Straßenbahngleise und fordert lediglich eine „re­gelmäßige“ Gefahrenanalyse nach Unfällen und deren Beseitigung nach einer Priori­tätenliste anstelle einer im Bürgerbegehren geforderten „unverzüglichen“ Beseiti­gung. Die Festlegung auf die Umgestaltung von 20 Kreuzungen im Radhauptrouten‑ und Ergänzungsnetz bis zum Jahr 2030 im Beschluss vom 5. Mai 2022 weicht eben­falls in ihrer Quantität von der Forderung des Bürgerbegehrens ab, wonach ab dem Jahr 2022 mindestens drei Kreuzungen jährlich innerhalb der nächsten neun Jahre umgebaut werden sollten.

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Bescheide vom 5. April 2022 und der die­sen zugrundeliegende Ratsbeschuss vom 1. April 2022 sind rechtmäßig und verlet­zen die Klägerinnen nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Sie haben keinen Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens.

Das Bürgerbegehren steht nicht mit den Vorgaben des § 26 Abs. 1 Satz 1 GO NRW sowie des § 26 Abs. 2 Satz 1, Abs. 7 Satz 1 GO NRW im Einklang.

Die Bürger können gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 GO NRW beantragen (Bürgerbegeh­ren), dass sie anstelle des Rats über eine Angelegenheit der Gemeinde selbst ent­scheiden (Bürgerentscheid). Das Bürgerbegehren muss schriftlich eingereicht wer­den und die zur Entscheidung zu bringende Frage sowie eine Begründung enthalten (§ 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW). Bei einem Bürgerentscheid kann über die gestellte Frage nur mit Ja oder Nein abgestimmt werden (§ 26 Abs. 7 Satz 1 GO NRW).

Hieran gemessen verstößt das Bürgerbegehren „RadEntscheid Bochum“ zum einen in seiner Gesamtheit gegen das aus § 26 Abs. 1 Satz 1 GO NRW folgende Verbot der Koppelung unterschiedlicher Themenstellungen (hierzu unter 1.) und genügt auch im weiteren nicht den Anforderungen an die Bestimmtheit nach § 26 Abs. 2 Satz 1, Abs. 7 Satz 1 GO NRW (hierzu unter 2.).

  1. Das Bürgerbegehren „RadEntscheid Bochum“ ist unzulässig, weil es in seiner Ge­samtheit gegen das aus § 26 Abs. 1 Satz 1 GO NRW folgende Verbot der Koppelung unterschiedlicher Themenstellungen verstößt.

§ 26 Abs. 1 Satz 1 GO NRW normiert ein sogenanntes Koppelungsverbot. Danach können Bürger beantragen (Bürgerbegehren), dass sie an Stelle des Rates über eine Angelegenheit der Gemeinde selbst entscheiden (Bürgerentscheid). Aus dem Wort­laut des § 26 Abs. 1 Satz 1 GO NRW folgt somit, dass sich das Bürgerbegehren auf „eine Angelegenheit der Gemeinde“ zu beziehen hat. Eine Angelegenheit ist danach als singuläres Thema zu verstehen, wie sich aus dem quantitativen Zählelement (eins) und dem unbestimmten Artikel zu einer Angelegenheit als singuläres Nomen ergibt. Andernfalls wäre zu erwarten gewesen, dass der Normgeber die Entschei­dung über Angelegenheiten (Mehrzahl) zugelassen hätte. Gleichermaßen folgt aus dem Wortlaut des § 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW, dass das Bürgerbegehren die zur Entscheidung zu bringende Frage (Singular) enthalten muss.

Auch aus der Systematik des § 26 GO NRW ergibt sich Entsprechendes. Die Anfor­derung, eine eng umrissene, einheitlich abgrenzbare Sachmaterie zum Gegenstand des Bürgerbegehrens zu machen, findet bei systematischer Betrachtung eine Stütze in den Regelungen über die Kostenschätzung. Diese soll die „Durchführung der ver­langten Maßnahme“ in den Blick nehmen (§ 26 Abs. 2 Satz 4 GO NRW). Der „Durch­führung“ der einzelnen „verlangten Maßnahme“ liegt ein engeres Begriffsverständnis von „eine Angelegenheit“ zugrunde als ein auf Finalität ausgerichtetes (politisches) Programm, dessen Durchführungsmodalitäten erst noch weitgehend geplant werden müssen.

Die Normgenese belegt die Auslegung des Begriffs „eine Angelegenheit“ in § 26 Abs. 1 Satz 1 GO NRW als eine eng umrissene, einheitlich abgrenzbare Sachmate­rie. Denn bei der Einführung des Bürgerbegehrens in § 17b GO NRW a.F. hat der historische Gesetzgeber die Entscheidung an Stelle des Rates „über eine wichtige Angelegenheit“ im Blick gehabt.

Vgl. Landtag NRW, Drs. 11/4983, S. 7.

Im Rahmen der Vorstellung des Gesetzesentwurfs führte der damalige Innenminister aus, dass die Elemente der unmittelbaren Demokratie die bewährte repräsentative demokratische Staatsorganisation in den Städten, Gemeinden und Kreisen nicht er­setzen, sondern ergänzen sollten.

Vgl. Landtag NRW, 11580, Plenarprotokoll 11/92.

Der historische Gesetzgeber schrieb dem Bürgerbegehren damit einen ergänzenden Anwendungsbereich im Hinblick auf die repräsentativ demokratisch gewählten Ge­meindeorgane zu. Dieser dem Bürgerbegehren historisch beigelegte ergänzende Zweck wird durch „punktuelle“ Angelegenheiten abgegrenzter Sachmaterien ausgefüllt, nicht jedoch darüber hinausgehend durch finalitätsgeprägte politische Pro­gramme bzw. bloße Maßnahmenziele.

Die vorstehende Auslegung des Begriffs „eine Angelegenheit“ in § 26 Abs. 1 Satz 1 GO NRW belegt das sogenannte Kopplungsverbot mehrerer Sachmaterien, die nicht mehr der Begrifflichkeit „eine Angelegenheit“ unterfallen, und, dass ein Bürgerbegeh­ren nur dann zulässig ist, wenn mehrere Fragen sachlich denselben Gegenstand betreffen.

Vgl. dazu bereits die Ausführungen in OVG NRW, Urteil vom 19. Februar 2008 – 15 A 2961/07 –, juris Rn. 30.

Auch eine rechtsvergleichende Betrachtung obergerichtlicher Rechtsprechung zu anderem jeweiligen Gemeinderecht in Bayern, Niedersachen und Hamburg bestätigt die vorstehende Auslegung. Danach bezieht sich die Einheitlichkeit der Angelegen­heit und damit das aus diesem folgende sogenannten Koppelungsverbot auf den ma­teriellen Regelungsinhalt. Zulässig ist eine Verbindung mehrerer Anliegen nur dann, wenn mehrere inhaltlich zusammenhängende („einheitliche“) Anliegen in einer Fra­gestellung zusammengeführt werden. Verboten ist insoweit die Koppelung sachlich nicht zusammenhängender Materien in einer Fragestellung.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 25. Juli 2007 – 4 BV 06.1438 –, juris Rn. 46; Nds. OVG, Beschluss vom 11. August 2008 – 10 ME 204/08 –, juris Rn. 23.

Eine „lockere Verknüpfung“ mehrerer Materien genügt daher nicht. Es bedarf viel­mehr eines engen sachlichen Zusammenhangs innerhalb eines einheitlichen Rege­lungsgegenstandes.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 8. Mai 2006 – 4 BV 05.756 –, ju-ris Rn. 19.

Aufgrund des – auch im hiesigen Landesrecht in § 26 Abs. 7 Satz 1 GO NRW nor­mierten – Erfordernisses, den Abstimmungsberechtigten lediglich eine „Ja“-/„Nein“-Frage vorzulegen, sind sachlich und inhaltlich nicht unmittelbar zusammenhängende Materien getrennt zur Abstimmung zu stellen. Dieser Zusammenhang lässt sich je­doch nicht bereits über eine gleichgerichtete Zielsetzung verschiedener Vorhaben herstellen, wenn sich diese ansonsten mit unterschiedlichen Regelungsinhalten an unterschiedliche Adressaten richten.

Vgl. Hamb. Verfassungsgericht, Urteil vom 13. Oktober 2016 – 2/16 –, juris Rn. 190, zur Ableitung des Koppe­lungsverbots aus dem Demokratieprinzip.

Welche Materien sachlich in einer Weise zusammenhängen, dass sie in einem Bür­gerbegehren verbunden werden dürfen, beurteilt sich nach materiellen Kriterien. Die bloße formale Verbindung unter dem Dach einer (stark abstrahierten) Fragestellung genügt ebenso wenig wie die Verknüpfung durch ein gemeinsames allgemeines Ziel oder ein politisches Programm. Maßgeblich ist, ob die Teilfragen oder -maßnahmen nach objektiver Beurteilung innerlich eng zusammenhängen und eine einheitliche abgrenzbare Materie bilden.

Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 3. April 2009 – 4 ZB 08.2205 –, juris; Lange, Kommunalrecht, 2. Auflage 2019, S. 624, Rn. 75.

Zwar ist es auch nach dem Vorstehenden nicht generell ausgeschlossen, dass in einem Bürgerbegehren mehrere Fragen zur Abstimmung gestellt werden. Das schließt die Stellung mehrerer Fragen zudem auch dann nicht aus, wenn diese Fra­gen nur einheitlich mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden können. Damit ist in for­meller Hinsicht zunächst nicht ausgeschlossen, eine Frage in mehrere Teilfragen zu untergliedern oder mehrere Fragen in einem Bürgerbegehren zusammen zu fassen.

Vgl. Bay. VGH, Urteile vom 28. Mai 2008 – 4 BV 07.1981 –, juris m.w.N., und vom 8. Mai 2006 – 4 BV 05.756 –, juris; ähnlich auch OVG NRW, Urteil vom 19. Februar 2008 – 15 A 2961/07 –, juris Rn. 39.

Allerdings ist die Verbindung mehrerer Fragen in einem Bürgerbegehren zur Vermei­dung von Zweideutigkeiten nur dann zulässig, wenn beide Fragen sachlich densel­ben Gegenstand betreffen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Februar 2008 – 15 A 2961/07 –, juris Rn. 30.

Ob ein Bürgerbegehren, das mehrere Maßnahmen umfasst, eine einheitliche Ange­legenheit betrifft und das Koppelungsverbot beachtet, ist anhand der Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Dabei ist der Inhalt eines Bürgerbegehrens durch Auslegung zu ermitteln.

Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 25. Juni 2012 – 4 CE 12.1224 –, juris.

Fragestellung und Begründung sind bürgerbegehrensfreundlich auszulegen. An die sprachliche Abfassung der Fragestellung dürfen keine zu hohen Anforderungen ge­stellt werden. Das Rechtsinstitut Bürgerbegehren ist so angelegt, dass auch Ge­meindebürger ohne besondere rechtliche Kenntnisse die Fragestellung formulieren können sollen. Daher ist eine „wohlwollende Tendenz“ gerechtfertigt, weil das Rechtsinstitut handhabbar sein soll, solange nur das sachliche Ziel des Begehrens klar erkennbar ist.

Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 25. Juni 2012 – 4 CE 12.1224 –, juris; VG Regensburg, Urteil vom 11. Juli 2012 – RN 3 K 12.424 –, juris Rn. 45 f.

Das Bürgerbegehren „RadEntscheid Bochum“ verstößt gegen das vorstehend be­schriebene Koppelungsverbot.

Eine sachlich und materiell abgrenzbare Einheitlichkeit der Angelegenheiten der im Bürgerbegehren aufgeführten „sieben Ziele“ ist nicht gegeben. Der nach den vorste­hend ausgeführten Maßstäben erforderliche enge Sachzusammenhang eines ein­heitlichen Regelungsgegenstandes zwischen mehreren Fragen liegt nicht vor. Zwar unterfallen sämtliche sieben Ziele des Bürgerbegehrens dem Leitthema der Förde­rung des Radverkehrs in der Stadt Bochum. Eine derartig weitgehende Abstraktion der Sachmaterie entspricht jedoch nicht mehr dem vorstehend dargestellten Sinn und Zweck der Regelung des § 26 GO NRW, eine Sachentscheidung in Bezug auf eine einheitliche Angelegenheit im materiell-rechtlichen Sinne durch die Bürger an­stelle des Rates herbeizuführen. Gerade die Ausrichtung eines Bürgerbegehrens auf eine konkrete abschließende Sachentscheidung anstelle des Rates lässt eine allgemeine politische Willensbildung in Bezug auf eine nicht abgegrenzte Sachmaterie nicht zu. In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerin zu 1. und ihr Prozess­bevollmächtigter ausdrücklich hervorgehoben, die Fragestellung habe „Radverkehrs­politik“ zum Gegenstand. Ihr weiteres Vorbringen, sie hätten diesen Oberbegriff be­wusst sehr weit gefasst, um sämtliche weitere Themen mit zu umfassen, belegt ge­rade den festgestellten Verstoß gegen das in § 26 GO NRW verankerte Koppelungs­verbot.

Ein als eng zu bezeichnender abgrenzbarer materieller Sachzusammenhang lässt sich zunächst noch in Bezug auf die Ziele 1. (Durchgängiges Netz für den Alltagsver­kehr ausbauen), 2. (Anforderungen an die Gestaltung der Radinfrastruktur), 3. (Si­cherheit zuerst), 4. (Kreuzungen sicher umbauen) und 6. (Radschulwegpläne für Schulen) erkennen. Diese Ziele haben den (sicheren) Ausbau der Radwege und de­ren nähere Ausgestaltung zum Gegenstand und betreffen damit die abgrenzbare Angelegenheit des Radwegeausbaus. Unbeschadet dessen ist jedoch auch bereits für diese Ziele festzustellen, dass sie von der abgrenzbaren Sachmaterie „Radwege-ausbau“ auch bei weitgehender Auslegung der Begrifflichkeit getrennt zu betrachten­de Regelungsgegenstände miteinbeziehen. So ist die Frage der Freigabe von Ein­bahnstraßen für den Radverkehr in die Gegenrichtung (als Teil von Ziel 1.) auch bei wohlwollender Auslegung nicht der Sachmaterie des Ausbaus der Radinfrastruktur zuzurechnen, da diese Fragestellung vorrangig straßenverkehrsordnungsrechtlichen Charakter hat. Einbahnstraßenregelungen sind solche der StVO (Zeichen 220 für Einbahnstraßen) und Freigabe für Radverkehr in Gegenrichtung (Zusatzzeichen zu Zeichen 220) Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO. An dieser Stelle zeigt sich weiter, dass das Bürgerbegehren auch andere straßenverkehrsrechtliche Anordnungen der Stra­ßenverkehrsbehörden nach der StVO zum Gegenstand hat (Ziel 4 „Kreuzungen si­cher umbauen, Abbiegegeschwindigkeit von KFZ reduzieren, Verkehrs-/Vorschriftszeichen nach der StVO). Diese (Teil-) Ziele stehen mit der Sachmaterie des Radwegausbaus zum einen nicht in engerem Sachzusammenhang. Ferner er­weist sich die Einbeziehung in das Bürgerbegehren auch deshalb als problematisch, weil nach § 26 Abs. 1 Satz 1 GO NRW die Bürger „an Stelle des Rates über eine Angelegenheit der Gemeinde selbst entscheiden“. Die Angelegenheiten müssen so­mit Aufgaben aus dem Wirkungskreis des Rates betreffen (Selbstverwaltungsaufga­ben). Für Maßnahmen der StVO wären jedoch andere Behörden als der Rat zustän­dig (§ 44 StVO). Denn nach §§ 5 ff. der Verordnung über Zuständigkeiten im Bereich Straßenverkehr und Güterbeförderung sind „Straßenverkehrsbehörden im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO die Kreisordnungsbehörden.“, bzw. nach § 45 StVO i.V.m. § 10 der vorerwähnten VO die örtlichen Ordnungsbehörden dieser Städte. Aufgaben der Kreisordnungsbehörden nach dem StVG oder der StVO sind pflichtige Aufgaben nach Weisung. Maßnahmen nach der StVO stellen danach keine Ratsaufgabe dar. Ein Bürgerbegehren darf daher nicht die Aufstellung von Verkehrsschildern fordern, wenn dafür eindeutige gesetzliche Tatbestände formuliert sind, deren Einhaltung im Wege des Weisungsrechts der Rechtsaufsicht durchgesetzt werden könnte.

Vgl. hierzu: BayVGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 4 B 97.2806 –, juris; vgl. dazu auch, Brunner, in: Kleerbaum / Palmen, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, 4. Aufla­ge 2023, § 26 GO NRW, S. 318 f.

Bereits dies allein führt darauf, dass das Bürgerbegehren jedenfalls in diesem Teil unzulässig ist, weil es insoweit keine Angelegenheit des Rates betrifft. Auch die For­derung der Analyse von Gefahrenstellen und das konsequente Kontrollieren und Ahnden von Verstößen gegen das Halte- und Parkverbot auf Radwegen (als Teil von Ziel 3.) sowie die Verringerung von Abbiegegeschwindigkeiten (als Teil von Ziel 4.) unterfallen nicht der Sachmaterie des Radwegeausbaus. Gleiches gilt für die Pla­nung von Radschulwegen als dem Ausbau vorgelagerter Prozess, welcher die Pla­nungshoheit der Gemeinde betrifft. Diese steht mit dem konkreten „Ausbau“ des Radwegenetzes als eng zu fassende Materie nicht in unmittelbarem Zusammen­hang.

Die weiteren von dem Bürgerbegehren aufgeführten Ziele 6. (Sichere Fahrradstell­plätze ausbauen) und 7. (Mobilitätswende konsequent und transparent fördern) sind ebenfalls nicht der materiell abgrenzbaren Sachmaterie des Ausbaus der Radwege bzw. der Radinfrastruktur zuzurechnen.

  1. Das Bürgerbegehren genügt unabhängig davon nicht den Anforderungen an die Bestimmtheit nach § 26 Abs. 2 Satz 1, Abs. 7 Satz 1 GO NRW.

Die hinreichende Bestimmtheit der Fragestellung eines Bürgerbegehrens ist von überragender Bedeutung. Die Bürger müssen schon aus der Fragestellung erkennen können, für oder gegen was sie ihre Stimme abgeben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ihre Mitwirkung sich nicht auf eine mehr oder weniger unverbindliche Mei­nungsäußerung oder die Kundgabe der Unterstützung bestimmter Anliegen be­schränkt, sondern eine konkrete Sachentscheidung betrifft.

OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2014 – 15 B 499/14 –, juris Rn. 10.

Deshalb muss ausgeschlossen sein, dass ein Bürgerbegehren nur wegen seiner in­haltlichen Vieldeutigkeit und nicht wegen der eigentlich verfolgten Zielsetzung die erforderliche Unterstützung gefunden hat. Insofern kommt auch eine wohlwollende Auslegung im Hinblick auf die große Bedeutung der Bestimmtheit der Fragestellung nicht in Betracht. Vielmehr muss die Fragestellung in sich widerspruchsfrei, in allen Teilen inhaltlich nachvollziehbar und aus sich heraus verständlich sein; mit anderen Worten: bei mehrdeutigen, unpräzisen und zu Missverständnissen Anlass bietenden Formulierungen ist eine hinreichende Bestimmtheit der Fragestellung zu verneinen. Das Bürgerbegehren steht zudem in engem sachlichen Zusammenhang mit dem Bürgerentscheid, der im Falle eines zulässigen Bürgerbegehrens herbeizuführen ist und die Wirkung eines Ratsbeschlusses hat. Aus § 26 Abs. 1 Satz 1 GO NRW ergibt sich daher, dass ein Bürgerbegehren nicht lediglich darauf gerichtet sein darf, dem Rat generelle Vorgaben für eine von ihm noch zu treffende Entscheidung zu machen. Vielmehr muss der angestrebte Bürgerentscheid die abschließende Entscheidung über eine Angelegenheit der Gemeinde anstelle des Rats im Sinne einer konkreten Sachentscheidung selbst treffen. Das Bürgerbegehren darf auch nicht bloß auf das Verfahren zielen, in dem diese Entscheidung getroffen werden soll. Unzulässig sind zudem resolutionsartige Meinungskundgaben.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. Februar 2009 – 15 A 3224/08 –, juris Rn. 3, und vom 30. Oktober 2008 – 15 A 2027/08 –, juris Rn. 12 ff., Urteil vom 19. Februar 2008 – 15 A 2961/07 –, juris Rn. 37, Beschlüsse vom 6. Dezember 2007 – 15 B 1744/07 –, juris Rn. 22 ff., und vom 18. Okto­ber 2007 – 15 A 2666/07 –, juris Rn. 5 ff., Urteile vom 23. April 2002 – 15 A 5594/00 –, juris Rn. 10 ff., vom 5. Februar 2002 – 15 A 1965/99 –, juris Rn. 20, und vom 9. Dezember 1997 – 15 A 974/97 –, juris Rn. 25.

Die textlichen Anforderungen an ein Bürgerbegehren dürfen nicht überspannt wer­den.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. Juni 2017 – 15 A 1561/15 –, juris Rn. 87.

Die Fragestellung muss sich jedoch aus der Sicht des Bürgers und des Verwaltungs‑
ausschusses, der über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zu entscheiden hat, sowie des Rates mit hinreichender Deutlichkeit und unter Zuhilfenahme der allge­meinen Auslegungsregelungen der §§ 133, 157 BGB aus dem Antrag selbst ein­schließlich seiner Begründung ergeben.

Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 11. August 2008 – 10 ME 204/08 –, juris Rn. 22; Dietlein/Peters in: Dietlein/Heusch, KommunalR NRW, 2023, § 26 Rn. 19.

a) Die mit dem Bürgerbegehren eingangs gestellte Frage, „Soll die Stadt Bochum die folgenden sieben verkehrspolitischen Ziele in den nächsten neun Jahren umsetzen?“ lässt sich zwar mit Ja oder Nein beantworten. Sie erweist sich – jedoch auch – bei einem Hineinlesen aller Ausführungen zu den „sieben Zielen“ jedenfalls in Teilen als nicht hinreichend bestimmt im Sinne der vorstehenden Maßstäbe. Dies zeigt sich bereits im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerinnen im gerichtlichen Verfahren zu den Begrifflichkeiten der Radwegekilometer bzw. Straßenkilometer. Soweit der Rats­beschluss vom 5. Mai 2022 auf Radwegekilometer abstellt, das Bürgerbegehren je­doch auf Straßenkilometer und der Unterschied der Begrifflichkeit erst im gerichtli­chen Verfahren dargestellt wurde, zeigt sich schon, dass auch dem den Bürgerbe­scheid unterzeichnenden Bürger eine Definition der Begrifflichkeit nicht ohne weite­res klar ist. Denn einem unbefangenen Bürger ist nicht ohne weiteres bewusst, dass der im Bürgerbegehren verwendete Begriff „Straßenkilometer“ von dem des „Rad-wegekilometers“ insoweit nach den Vorstellungen der Beteiligten zu unterscheiden ist, als ein auf beiden Straßenseiten ausgebauter Radweg auf einer Läge von einem Kilometer lediglich einem Straßenkilometer, jedoch zwei Radwegekilometern ent­spricht.

Darüber hinaus ist jedenfalls bei ortsbezogenen Maßnahme – wie hier – zu verlan­gen, dass das Bürgerbegehren die konkreten Örtlichkeiten in Bezug nimmt. Soweit das Bürgerbegehren zwar Radroutennetze aufführt und dem von ihm dargestellten Begriff des Radhauptroutennetzes Straßen zuordnet sowie teilweise benennt (Ziele 1. und 2.), ist die Darstellung nicht konkret genug, um die Örtlichkeit einer bestimm­ten Ausbaumaßnahme klar zu bestimmen. Gerade unter Berücksichtigung des Um­standes, dass die Kostenschätzung fast 427.500.000 Euro (fast 1/2 Milliarde Euro) ausweist, kann es für abstimmende Bürger durchaus beachtlich sein, wo konkret die Maßnahmen umgesetzt werden, um zu entscheiden, ob sie konkret den Einsatz die­ser öffentlichen Mittel dafür einsetzen wollen. Der einzelne Bürger kann anhand der Darstellung im Bürgerbegehren vorliegend nicht erfassen, welche konkreten Folgen dieses für ihn selbst hat und ob er in Kenntnis aller Umstände und Einzelheiten bereit ist, das Begehren zu unterstützen.

Der Sinn und Zweck des Bürgerbegehrens als unmittelbare demokratische Mitwir­kung zur Ergänzung der repräsentativen demokratischen Staatsorganisation verlangt einzelne konkrete Fragestellungen zu einer abgegrenzten Sachmaterie und Sach­entscheidung. Dem stehen Bürgerbegehren entgegen, deren Fragestellung im Sinne eines politischen Programms zu erreichende Ziele (Finalität) benennt, aber die kon­kreten Maßnahmen (Sachentscheidung/Durchführung) für den abstimmungsberech­tigten Bürger unklar lässt. Dies ist hier jedoch der Fall. Soweit Ziel 2. (Anforderungen an die Gestaltung der Radinfrastruktur) unter anderem festlegt, dass Radfahrende „bestmöglich vor dem Kfz-Verkehr geschützt“ werden, ist nicht hinreichend klar, auf welche konkrete Art und Weise und mit welchen konkreten Maßnahmen der Schutz der Radfahrer im Verkehr gewährleistet werden soll. Dementsprechend ist der kon­krete Inhalt der insoweit beabsichtigten Entscheidung durch den Rat unklar. Es han­delt sich vielmehr lediglich um eine allgemeine Zielvorgabe, die inhaltlich jedoch nicht nachvollziehbar bestimmt ist. Insoweit enthält das Bürgerbegehren keine konkrete Sachentscheidung. Auch die Vorgaben, „bestehende Radwege an Radhauptverbindungen zu überprüfen und erforderlichenfalls zu verbessern, wenn sie den gestiege­nen Anforderungen gemäß neuer StVO und neuer ERA nicht mehr genügen“, ist nicht hinreichend bestimmt. Dem Unterzeichner des Bürgerbegehrens erschließt sich insbesondere nicht allein durch das Lesen der Ausführungen, welche Anforderungen der in Bezug genommenen Regelwerke als „gestiegene“ zu bewerten sind. Dies gilt gleichermaßen, soweit in dem Ziel 4. (Kreuzungen sicher umbauen) ausgeführt wird, dass „Stellen mit besonderem Gefahrenpotential Umbaupriorität haben“. Was konk­ret unter „besonderem Gefahrenpotential“ zu verstehen ist, lässt sich dem Begehren nicht entnehmen. Ebenso bleibt unklar, wie ein solches Gefahrenpotential festgestellt werden soll und auf welche Weise eine entsprechende Rangfolge (Priorität) zu er­stellen ist. Die Ausführungen sind nicht auf eine abschließende Sachentscheidung im Sinne des § 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW gerichtet.

b) Darüber hinaus erweist sich das Bürgerbegehren in der hier gestellten Form auch deshalb als unzulässig, weil es für sich betrachtet – allein unter Zugrundelegung der konkreten im Eingang gestellten Frage – nicht auf eine bestimmte Sachentscheidung gerichtet ist. Die Frage selbst lässt sich zwar mit Ja oder Nein beantworten, ergibt aber ohne ein Hineinlesen der in Bezug genommenen, erst im weiteren angeführten Ziele keinen eigenen Sinn. Eine solche Inbezugnahme diverser inhaltlich nicht im engen Sachzusammenhang miteinander stehender und darüber hinaus auch nicht hinreichend konkret bestimmter „Ziele“ führt hier zur Unbestimmtheit des Bürgerbe­gehrens, da bereits für sich betrachtet keine bestimmte (inhaltlich Sinn ergebende) Frage vorliegt.

Vgl. zur Problematik langer und verschachtelter Fragestel­lungen: OVG NRW, Beschluss vom 30. Oktober 2008 – 15 A 2027/08 –, juris Rn. 9.

Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine konkrete Fragestellung in Form einer konkre­ten Sachentscheidung.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2014 – 15 B 499/14 –, juris Rn. 10

Dass aufgrund der Vielschichtigkeit und Komplexität des vorliegenden Bürgerbegeh­rens eine andere Art der Fragestellung beziehungsweise Darstellung eventuell nicht möglich war oder die zahlreichen Ziele nicht ausreichend in einer Fragestellung hät­ten dargestellt werden können, zeigt gerade, dass das vorliegende Bürgerbegehren nicht nur auf eine oder mehrere (dann aber miteinander in einem Sachzusammen­hang stehende) Fragen gerichtet ist, sondern vielmehr darüber hinaus im Sinne ei­nes politischen Programms zu erreichende Ziele benennt.

  1. Aus den vorstehend unter 1. und 2. dargestellten Verstößen des Bürgerbegehrens gegen den Grundsatz der Bestimmtheit und der fehlenden Einheitlichkeit der Frage­stellung folgt die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens insgesamt.

Dies gilt zunächst in Bezug auf die Feststellung des Verstoßes gegen das Koppe­lungsverbot, das hier zu einem uneinheitlichen Fragegegenstand des Bürgerbegeh­rens und der daraus resultierenden Unzulässigkeit führt. Der Verstoß gegen das Er­fordernis der Einheitlichkeit der Fragestellung wegen unzulässiger Verknüpfung meh­rerer Sachmaterien als Anliegen erfasst das Bürgerbegehren in seiner Gesamtheit.

Aber auch unter Berücksichtigung allein der Ausführungen zur inhaltlichen Unbe­stimmtheit unter Ziffer 2. dieser Entscheidung erweist sich das Bürgerbegehren ins­gesamt als unbestimmt auch soweit die Unbestimmtheit sich möglicherweise nur auf Teile der Ziele oder innerhalb der Ziele auf Teile der Darstellung beschränkt.

Vgl. zur einer aus einer Teilunzulässigkeit folgenden grundsätzlichen Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens ins­gesamt: Nds. OVG, Beschluss vom 11. August 2008 – 10 ME 204/08 –, juris Rn. 23; Erichsen/Dietlein, Kommunal­recht, 3. Auflage, S. 165, Rn. 42; Dietlein/Peters in: Dietlein/Heusch, KommunalR NRW, 2023, § 26 Rn. 20.1,

Etwas anderes folgt hier nicht daraus, dass am Ende des Bürgerbegehrens, losge­löst von den aufgeführten Zielen, ausgeführt wird, die Unterzeichnenden erklärten sich mit ihrer Unterschrift einverstanden, diese solle in den Fällen der teilweisen Un­zulässigkeit oder Erledigung für die verbleibenden Teile fortgelten.

Eine solche salvatorische Klausel zum fortbestehenden Willen des Unterzeichners bei teilweiser Unzulässigkeit, soweit etwaiges im Bürgerbegehren angelegt ist,

vgl. insoweit in einem obiter dictum: OVG NRW, Beschluss vom 30. Oktober 2008 – 15 A 2027/08 –, juris Rn. 10,

könnte – ohne dass dies hier einer abschließenden Entscheidung bedarf – nach Auf­fassung der Kammer nur bei klar abtrennbaren Einzelmaßnahmen oder Teilfragen zulässig sein. Bereits dies ist hier nach den vorstehenden Ausführungen jedoch nicht der Fall. Insbesondere aufgrund der Vielschichtigkeit und Komplexität der auf Finali-tät gerichteten Ziele im Sinne von „Programmen“, ist eine solche Abtrennbarkeit nicht gegeben. Die hier verwendete salvatorische Klausel am Ende des Bürgerbegehrens ist mit dessen Charakter als „eine Entscheidung“ der abstimmungsberechtigten Bür­ger über eine Angelegenheit im Sinne des Gesetzgebers nicht vereinbar. Denn die Abstimmenden müssen für ihre Teilhabe im Wege unmittelbarer Demokratie wissen, wozu sie „Ja“ oder „Nein“ sagen. Das wäre im vorliegenden Fall bei Zulassung einer salvatorischen Klausel nicht mehr gewährleistet. Der Gehalt der Entscheidung hinge in diesem Fall davon ab, inwieweit der Rat oder ein Gericht die Inhalte der Frage als zulässig erachteten. Das Bürgerbegehren würde durch ein „Herausschneiden“ zuläs­siger Teile aus an sich geschlossenen Fragen zwischen seiner Formulierung und der Unterschriftensammlung sowie in einer späteren Abstimmung als Bürgerentscheid (über die zulässig erachteten Teilfragen) in seinem Wesen geändert werden. Dem steht entgegen, dass die gesetzlichen Regelungen in § 26 GO NRW eine (zumindest wesentliche) Identität der Fragestellung in den beiden Verfahrensstufen Bürgerbe­gehren und Bürgerentscheid voraussetzen. Insoweit ist weiter zu beachten, dass bei einer lediglich teilweisen Geltungserhaltung der Fragestellung die das gesamte Bür­gerbegehen erfassende und dem Bürger zur Kenntnis gegebene Kostenschätzung nicht mehr zuträfe.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus den § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO, die Ent­scheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, Nr. 11, § 711, § 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Beschluss:

Der Streitwert wird gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetztes (GKG) i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 22.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungs­gerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai/ 1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen auf 15.000 Euro festgesetzt.

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