Für die dienstlichen Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr fehlt eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Das hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig heute entschieden.
Anlass für diese Entscheidung war die dienstliche Beurteilung eines Offiziers vom Juli 2021. Sie erfolgte auf der Grundlage des neuen Beurteilungssystems der Bundeswehr und fiel im Gesamturteil mit „D+“ aus. Dies bedeutet, dass der Soldat knapp unter dem Bereich der besten 30% lag. Der Offizier machte im gerichtlichen Verfahren geltend, dass er erst acht Monate vor dem Beurteilungsstichtag zu seiner neuen Dienststelle versetzt worden sei und dass sein früherer Vorgesetzter ihm wesentlich bessere Leistungen bescheinigt und eine Leistungsprämie gewährt habe. Dieser Beurteilungsbeitrag sei ebenso unzureichend gewürdigt worden wie sein Engagement als Ausbilder und Flieger in einer Nebenfunktion, für die es an einem Beurteilungsbeitrag fehle. Er sei ein Opfer der neu festgelegten Quote für kleine Vergleichsgruppen. Außerdem fehle den Beurteilungsrichtlinien des Bundesministeriums der Verteidigung eine ausreichende gesetzliche Grundlage.
Der 1. Wehrdienstsenat hat dem Antrag des Offiziers stattgegeben und dabei ausgeführt, dass das Soldatengesetz keine dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Gesetzesvorbehalts genügende Ermächtigungsgrundlage für das Beurteilungswesen enthält. Öffentliche Ämter werden gemäß Art. 33 Abs. 2 GG nach Eignung, Leistung und Befähigung vergeben. Dabei spielen die dienstlichen Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten eine zentrale Rolle. Nach der neueren beamtenrechtlichen Rechtsprechung müssen die wesentlichen Grundsätze für die Erstellung der Beurteilungen vom parlamentarischen Gesetzgeber bestimmt werden. Er darf dies nicht allein dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen (BVerwG, Urteile vom 17. September 2020 – 2 C 2.20 – NVwZ-RR 2021, 122 und vom 7. Juni 2021 – 2 C 2.21 – BVerwGE 173, 81). Im Soldatenrecht gilt nichts Anderes.
Für eine Übergangszeit kann das bisherige System der dienstlichen Beurteilung auf der Grundlage der Soldatenlaufbahnverordnung (§§ 2, 3 SLV) und allgemeiner Verwaltungsvorschriften (Allgemeine Regelung A-1340/50) weitergeführt werden. Denn die frühere Rechtsprechung hat das Fehlen einer gesetzlichen Regelung nicht beanstandet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 1 WB 48.07 – BVerwGE 134, 59). Außerdem werden die oben genannten Regelungen den Anforderungen des Leistungsgrundsatzes gerecht. Die gebotene Ergänzung des Soldatengesetzes ist bereits durch eine Gesetzesinitiative der Bundesregierung auf den Weg gebracht worden (BR-Drs. 377/23), so dass ein Ende der Übergangszeit absehbar ist.
Im vorliegenden Fall war die dienstliche Beurteilung des Offiziers deswegen rechtswidrig, weil ein Beurteilungsbeitrag für die fliegerische Nebenfunktion nicht eingeholt worden ist. Ferner ist im Beschwerde- und Rechtsmittelverfahren das Gesamturteil nicht hinreichend plausibilisiert worden. Der Zweitbeurteiler hätte auf das substantiierte Vorbringen des Offiziers, er habe einen sehr guten Beurteilungsbeitrag und eine Leistungsprämie erhalten, näher erläutern müssen, warum der Soldat bei einer Gesamtbewertung gleichwohl nicht zur Spitzengruppe gehört. Die Vergleichsgruppenbildung hat der 1. Wehrdienstsenat nicht beanstandet. Er hat betont, dass bei kleinen Vergleichsgruppen unter 20 Mitgliedern keine strikte Bindung an Richtwerte gilt und dem Gebot der Einzelfallgerechtigkeit Rechnung zu tragen ist.
Ferner hat der 1. Wehrdienstsenat seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass die dienstliche Beurteilung im gerichtlichen Verfahren als einheitliche dienstliche Maßnahme anzusehen ist. Eine isolierte gerichtliche Überprüfung der Stellungnahme des Erstbeurteilers oder des Zweitbeurteilers findet nicht mehr statt, weil erst nach dem vom Zweitbeurteiler abgegebenen Gesamturteil eine vollständige Beurteilung vorliegt.