++ 2022 gab es mehr Bürgerentscheide als in den Jahren 2021 und 2020 zusammen ++
++ 31 neue Bürgerbegehren wurden im Jahr 2022 eingeleitet ++
++ Schulen und Grünflächen häufigste Themen bei Bürgerbegehren++
++ Premiere! 2022 wurde das 900. Bürgerbegehren in NRW gestartet ++
++ Immer mehr Kommunen setzen auf automatische Zusendung der Briefwahlunterlagen ++
++ Neue Transparenzpflichten für Bürgerbegehren eingeführt ++
++ Im Jahr 2023 wird sich Trend zu vielen Bürgerentscheiden voraussichtlich fortsetzen ++
Im Jahr 2022 gab es wieder deutlich mehr Bürgerentscheide als in den beiden Jahren zuvor. Fanden 2020 und 2021 nur jeweils vier Bürgerentscheide statt, stimmten die Bürger im Jahr 2022 in gleich zehn Fällen ab. Weiterhin wurde im Jahr 2022 das 900. Bürgerbegehren durch die Bürger eingeleitet. Das geht aus der heute (19.1.2023) vom Fachverband Mehr Demokratie in Köln veröffentlichten Jahresbilanz Bürgerbegehren 2022 für Nordrhein-Westfalen hervor. „Nach zwei Corona-bedingt ruhigeren Jahren herrschte 2022 wieder direktdemokratische Aufbruchstimmung in NRW! So häufig konnten die Bürgerinnen und Bürger schon lange nicht mehr abstimmen und dieser Trend scheint sich auch im Jahr 2023 fortzusetzen!“ so Achim Wölfel, NRW-Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie.
Im Jahr 2022 wurden insgesamt 31 Bürgerbegehren neu eingeleitet, im Jahr 2021 waren es 35 Verfahren. Die Anzahl an Bürgerbegehren im Jahr 2022 liegt damit leicht unter dem Schnitt der vergangenen fünf Jahre, der bei 35 Verfahren pro Jahr liegt. Das Top-Thema kommunaler Bürgerbegehren waren Schulen, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Erhalt von Schulgebäuden oder bestimmten Schulformen. Weitere häufig vorkommende Themen waren der Erhalt von Grünflächen sowie Fragen rund um den Weiterbetrieb und die Sanierung von öffentlichen Schwimmbädern. „Schulgebäude und Schwimmbäder sind ein Bürgerbegehrens-Dauerbrenner in NRW. Das sind Themen, die den Bürgerinnen und Bürger unter den Nägeln brennen. Gut, dass sie hier so rege über Bürgerbegehren mitbestimmen können!“, so Wölfel weiter.
Im vergangenen Jahr wurden 24 Bürgerbegehren abgeschlossen. Davon wurden 10 Bürgerbegehren noch im Vorjahr eingeleitet. Von den 24 abgeschlossenen Bürgerbegehren wurden zwei vom Stadtrat übernommen, zehn führten zu Bürgerentscheiden und zwölf wurden für unzulässig erklärt. Bei drei der zehn Bürgerentscheide sprach sich die Mehrheit der Abstimmenden im Sinne der Initiative aus: In Haan stimmten die Bürger gegen den Bau von Fahrradstreifen auf der B228, in Niederkrüchten für die Sanierung des Schwimmbades und in Düren gegen eine Umbenennung des Kreises. In vier Fällen endete der Bürgerentscheid nicht im Sinne der Initiative. So gab es keine Mehrheiten für den Radentscheid in Kaarst und für die Sanierung der Eissporthalle in Unna. Auch die Roetgener Initiative gegen die Errichtung von Windkrafträdern und die Wuppertaler Initiative gegen eine Bewerbung zur Bundesgartenschau konnten sich nicht durchsetzen.
Die Bürgerentscheide gegen den Bau von Gewerbegebieten in Lünen sowie der Bürgerentscheid gegen den Abriss eines Schwimmbades in Hagen verfehlten das sogenannte Zustimmungsquorum. Das Zustimmungsquorum besagt, dass zusätzlich zur einfachen Mehrheit auch ein bestimmter Anteil der Abstimmungsberechtigten für einen Bürgerentscheid stimmen muss, damit dieser gültig ist. „In NRW scheitert fast die Hälfte aller Bürgerentscheide am Zustimmungsquorum. Auch in diesem Jahr ist knapp ein Drittel der Abstimmungen trotz klarer Mehrheiten dieser Regelung zum Opfer gefallen. Durchgesetzt haben sich am Ende die, die der Abstimmung fernblieben. Solche Regelungen untergraben das Vertrauen in unsere Demokratie“, kritisiert Wölfel.
Erfreulich aus Sicht von Mehr Demokratie sei, dass immer mehr Kommunen in NRW im vergangenen Jahr die einstufige Briefwahl bei Bürgerentscheiden eingeführt haben. Den Anfang hatte im August der Kreis Düren gemacht, im Dezember folgten dann Nümbrecht und Herten. „Das ist eine großartige Verbesserung der lokalen Demokratie. Grundsätzlich sollte die Beteiligung an Wahlen und Abstimmungen der Bevölkerung möglichst einfach gemacht werden. Die automatische Zusendung der Briefwahlunterlagen leistet dazu einen wertvollen Beitrag“, so Wölfel. Außerdem könne sie dafür sorgen, dass sich die Abstimmungsbeteiligung erhöhe.
Im Jahr 2022 wurden außerdem Transparenzpflichten für Bürgerbegehrens-Initiativen eingeführt. Demnach müssen Initiativen bei der Einreichung eines Bürgerbegehrens die Finanzierung des Begehrens offenlegen. Transparenz sei aus Sicht von Mehr Demokratie zwar immer begrüßenswert, allerdings verkompliziere der neue Artikel 26a der Gemeindeordnung die ohnehin schon schwer verständlichen Bürgerbegehrens-Regelungen weiter. Mehr Demokratie erneuert deswegen seine Forderung nach einer zentralen Beratungsstelle für Bürgerbegehren. „Wenn die Anforderungen an Bürgerinnen und Bürger steigen, steigen auch die Anforderungen an die Qualität der Beratung“, so Wölfel.
Ausblick 2023
Eine hohe Anzahl an Bürgerentscheiden zeichnet sich auch für das Jahr 2023 ab. Bereits sechs Bürgerentscheide in den kommenden drei Monaten sind terminiert. So stimmen die Erkrather am 26. Februar über die Bebauung der Hasenwiese ab, in Herne findet am gleichen Tag ein Bürgerentscheid über den Erhalt eines Schwimmbades statt und in Issum wird parallel über den Sonderverkehr für Schüler abgestimmt. Die Bürgerentscheide in Herten und Nümbrecht finden beide als reine Briefwahl statt. In Herten läuft die Abstimmung über den Bau einer neuen Feuerwache vom 6. Februar bis zum 6. März, in Nümbrecht können alle Abstimmungsberechtigten vom 24. Januar bis zum 14. Februar ihre Stimme zum Bau von Windkraftanlagen abgeben. In Nümbrecht handelt es sich um einen Ratsbürgerentscheid, angestoßen durch eine Mehrheit der Ratsmitglieder. Zuletzt findet bis zum 1. März in Siegen ein Bürgerentscheid zur Schullandschaft statt, konkret wird der Erhalt der Haupt- und Realschulen gefordert.
Hintergrund
Seit der Einführung von Bürgerbegehren in NRW im Jahr 1994 gab es bis Ende 2022 insgesamt 939 Verfahren. Diese unterteilen sich in 907 Bürgerbegehren und 32 Ratsbürgerentscheide. Insgesamt fanden 283 Bürgerentscheide statt. Von diesen scheiterten 114 „unecht“, also trotz Mehrheit am Zustimmungsquorum, was einem Anteil von etwa 40 Prozent entspricht. 315 der 907 Bürgerbegehren wurden für unzulässig erklärt, was einem Anteil von rund 35 Prozent entspricht.
Stichtag der Analyse war der 31. Dezember 2022. Nicht berücksichtigt wurden Bürgerbegehren, die nur angekündigt oder öffentlich diskutiert wurden.