Das Zeugnis könnte kaum schlechter ausfallen. Die Elemente direkter Demokratie auf kommunaler Ebene, die in den zurückliegenden Jahren sukzessive in die Gemeindeordnung NRW aufgenommen wurden, leiden unter hohen formalrechtlichen Hürden. Nur wenige schaffen überhaupt den Sprung zu einem Bürgerentscheid und damit zum eigentlichen Kern der Mitbestimmung. Die Initiative Mehr Demokratie e.V. hat am heutigen Donnerstag genau aus diesem Grund eine neue Kampagne gestartet, um diesem Mangel abzuhelfen. Zwar waren auch vorherige Initiativen, unter anderem auch von Mehr Demokratie e.V. zur Änderung des Wahlrechts in NRW wenig erfolgreich. NRW ist derzeit der einzige Flächenstaat in Deutschland, in dem das so genannte Kummulieren und Panaschieren nicht möglich ist. Trotzdem wollen die Initiatoren einen erneuten Anlauf starten, um für eine Vereinfachung des Wahlrechts und einen „Abbau unnötiger Hürden“ von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden einzutreten, erklärten der Pressesprecher des Vereins, Torsten Sterk, und Rechtsanwalt Robert Hotstegs auf der heutigen Pressekonferenz. Die Hemmschwellen und Fallstricke der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung, die über Zulässigkeit und Bedingungen von Elementen direkter Demokratie entscheiden, sind in dem Gesetzestext gut versteckt. „Man liest es nicht sofort“, erklärte Hotstegs. Vor allem Ausschluss so wichtiger Themenkomplexe wie Planungsvorhaben oder Bebauungspläne schränken die Erfolgsaussichten nordrhein-westfälischer Bürgerbegehren zusätzlich ein. „Das ist nicht praktikabel. Im Freistaat Bayern ist eine Abstimmung über solche Themen zulässig, trotzdem ist das Land nicht untergegangen“, so Hotstges weiter.
Auch bei Volksentscheiden auf Landesebene herrscht in Nordrhein-Westfalen Nachholbedarf, um es vornehm auszudrücken. Im vergangenen Jahr gab es erneut eine „Null“ in der entsprechenden Statistik, wie die Verantwortlichen von Mehr Demokratie ausführten. Dabei gibt es auch hier positive Gegenbeispiele. So erreichte eine Volksabstimmung in der Hansestadt Hamburg einen Kompromiss bei der Änderung des Wahlrechts, in der Bundeshauptstadt erreichte eine Volksabstimmung über die Wiedereinführung des Religionsunterricht die Zulassung. In diesem Jahr wird sich der Trend voraussichtlich weiter fortsetzen. So wird es aller Wahrscheinlichkeit nach in der Elbmetropole noch in diesem Sommer zu einem Volksentscheid über das zukünftige Schulsystem geben. Angesichts der vom Stadtrat immer wieder geforderten Schulstrukturdebatte in Nordrhein-Westfalen machen die Hanseaten vor, wie man dieses Problem auf eine breite demokratische Basis stellen kann. „Man gibt alle fünf Jahre seine Stimme ab und bekommt sie nicht zurück“, so das wenig erfreuliche Fazit von Rechtsanwalt Hotstegs. Mit einem Online-Forumlar und Unterschriftensammlungen in verschiedenen Städten will der Verein in den kommenden Wochen bis zur Landtagswahl einen erneuten Anlauf nehmen. Parallel dazu werden auch die Landtagskandidatinnen und –kandidaten der großen Parteien mit einem Fragenkatalog konfrontiert. Ein sechs Meter hohe „aufblasbare Landesverfassung“ sowie Info-Stände mit Aktivisten des Vereins sollen auf die Kampagne aufmerksam machen. Ein Termin für Köln steht noch nicht fest, der Ort wird wahrscheinlich wieder der Rudolfplatz sein, so Sterk weiter.
Köln steht vor einer Premiere – 50.000 Unterschrift gesammelt
Aktuell haben die Initiatoren des Bürgerbegehrens in der Domstadt gegen den Neubau des Schauspielhauses bereits 50.000 Unterschriften gesammelt. Die ersten 32.000 sind bereits in der Vorwoche an den Kölner Stadtdirektor übergeben worden. Die Argumentation Kahlens, eine Prüfung und Entscheidung über die Zulässigkeit erst nach den Landtagswahlen durchzuführen, kann Frank Deja vom Bündnis „Köln kann auch anders“ nicht nachvollziehen. So findet am heutigen Donnerstag ein Treffen zwischen Rechtsexperten der Initiatoren und dem Stadtdirektor ein Treffen statt, indem der Stadtdirektor von einer schnellen Bearbeitung überzeugt werden soll. Einen möglichen Gang vor das Verwaltungsgericht wollte Deja zwar nicht ausschließen, in der Sache dürfte das wenig bringen. „Ein solcher Schritt ist von keiner praktischen Relevanz. Es wäre die schlechteste Lösung“, so der Co-Initiator des Bürgerbegehrens. Nach ersten Gesprächen mit Vertretern der politischen Parteien hat Deja überdies eher Skepsis. „Das ist wie beim Mikadospiel. Keiner will sich zuerst bewegen“, gibt Deja seinen subjektiven Eindruck dieser Gespräche wieder. Mit drei der vier großen Ratsfraktion habe es bereits Gespräche gegeben oder es stehen Termine an, erklärte der Co-Initiator weiter. Unterstützung fanden die Vertreter der Initiative dabei vom Verein „Mehr Demokratie“. „Ohne diese Hilfe hätte wir das nicht geschafft“, erklärte Deja. Dabei wäre ein schnelles Umdenken notwendig. „Sonst stehen die Verantwortlichen der Stadt am Ende ohne Plan B dar“, forderte Deja weiter. Dass Elemente direkter Demokratie durchaus weit jenseits der eigentlichen Unterschriftensammlungen nutzbringend sind, ist für den 1988 in Bonn gegründeten Verein „Mehr Demokratie“ eine Selbstverständlichkeit. Heutige Politiker wie Peter Kurth oder der amtierende Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung haben den Weg in die Politik über solche Abstimmungen gefunden. „Da kommt frisches Blut in die Politik“, weiß Pressesprecher Sterk.
Das weitere Prozedere zum Bürgerentscheid und damit zur Zulässigkeit des vorgeschalteten Bürgerbegehrens steht derzeit allerdings alles andere als fest. Dabei haben die Initiatoren es bereits jetzt geschafft, mit ihrer Initiative und der daran anknüpfenden Unterschriftensammlung eine breite Öffentlichkeit für das Thema zu interessieren. So haben Rechtsexperten, Architekten und andere Fachleute ihre Expertise und ihren Sachverstand in die Diskussion eingebracht. Im Gegensatz zur offiziellen Verwaltungsmeinung sei eine Komplettsanierung des Schauspiels sehr wohl in der Lage, die baulichen und funktionellen Mängel des in die Jahre gekommenen Gebäudes zu beheben. Auch nach dem Vergaberecht gebe es keine unumstößlichen Hindernissen, ließ Deja durchblicken. „Das ist eine Sache des politischen Willens“, ist sich der Vertreter von „Köln kann auch anders“ sicher. Allzu sehr habe sich auch das entscheidende Gremium und die vertretene Mehrheitsmeinung „vom Diktat der einheitlichen Verwaltungsmeinung“ beeinflussen lassen. Dabei steht die von der Verwaltung ausgeschlossene Alternative Komplettsanierung des Schauspielhauses sogar in der Beschlussvorlage als Alternative. Nach dessen Wortlaut soll diese Variante sogar einige Monate früher fertig werden können als der nun beschlossene Neubau des Schauspielhauses, wie Deja recherchiert hat. In diesem wie im anderen Fall könnte sich vor allem der Stadtkämmerer über Einsparungen freuen. Das gelte sowohl für die Alternative Komplettsanierung wie auch für die von den Initiatoren angestrebte Zusammenlegung von Bürgerentscheid und Landtagswahl.