Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden gab mit Beschluss vom Mittwoch den Anträgen der betroffenen hauptamtlichen Beigeordneten und eines Stadtverordneten auf vorläufigen Rechtsschutz statt und stellte fest, dass der Vornahme einer Wiederwahl der Antragstellerin zur hauptamtlichen Beigeordneten die Vorschrift des § 39a Abs. 1 S. 3 Hessische Gemeindeordnung nicht entgegensteht.
Die am 02.01.1949 geborene Antragstellerin ist hauptamtliche Beigeordnete der Landeshauptstadt Wiesbaden für den Geschäftsbereich des Schul-, Integrations- und Kulturdezernats. Sie erklärte sich bereit, nach dem Ende ihrer Amtszeit zum 01.10.2013 dieses Amt für eine weitere Amtszeit wieder zu übernehmen. Ein entsprechender Antrag auf Wiederwahl war in der Stadtverordnetenversammlung vom 25.04.2013 als Tagesordnungspunkt vorgesehen gewesen. Nachdem seitens der Kommunalaufsicht im Vorfeld Bedenken bezüglich der Wiederwahl im Hinblick auf die in § 39a Abs. 1 S. 3 Hessische Gemeindeordnung normierte Altersgrenze von 64 Jahren geäußert und deren Beanstandung vorbehalten worden war, wurde in der Abstimmung der Stadtverordnetenversammlung vom 25.04.2013 der Antrag auf Vornahme der Wiederwahl der Antragstellerin abgelehnt. Ausweislich der Protokolleerklärungen der CDU- und SPDFraktion vom 22. und 24.04.2013 zu dem die Wiederwahl der Antragstellerin betreffenden Tagesordnungspunkt bestand dort grundsätzlich eine überwiegende Bereitschaft dieser Fraktionsmitglieder zur Wiederwahl der Antragstellerin, an der sie sich jedoch ausschließlich aufgrund der Altersgrenze aus § 39a Abs. 1 S. 3 Hessische Gemeindeordnung gehindert sahen.
Das Gericht erachtet die Eilanträge der beiden Antragsteller in der gewählten Form für statthaft, da aufgrund des Zeitablaufs effektiver Rechtsschutz im Vorfeld ansonsten nicht gewährt werden könne. Insbesondere habe die Stadtverordnetenversammlung bereits angekündigt, eine etwaige Wiederwahl der Antragstellerin von dem Ausgang des gerichtlichen Verfahrens abhängig zu machen. Sobald eine andere Person zur hauptamtlichen Beigeordneten gewählt sei, könne nach der Neubesetzung dieses Amtes wegen des Grundsatzes der Ämterstabilität nachträglich kein Rechtschutz mehr erlangt werden.
Nach Auffassung des Gerichts stellt die Altersgrenze für die Wiederwahl hauptamtlicher Beigeordneter auf die Vollendung des 64. Lebensjahres in § 39a Abs. 1 S. 3 Hessische Gemeindeordnung für eine Altersdiskriminierung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 lit a der Richtlinie 2000/78/EG dar, die durch die beruflichen Anforderungen nicht gerechtfertigt ist und auch keinem legitimen Ziel dient. Zugleich verstoße die Regelung des § 39a Abs. 1 S. 3 Hessische Gemeindeordnung gegen die mit den genannten EU- Antidiskriminierungsrichtlinien übereinstimmenden Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
Gegenüber der Antragstellerin, die bei einer öffentlichen Stelle tätig ist, liegt danach eine unmittelbare Diskriminierung vor, da sie wegen ihres Alters eine weniger günstige Behandlung erfahre als eine andere Person. Die Beendigung des aktiven Beamtenverhältnisses knüpfe unmittelbar an das jeweilige Lebensalter an. Da eine ordnungsgemäße Umsetzung der Vorschriften der Richtlinie auch in die Hessische Gemeindeordnung nicht fristgemäß zum 01.12.2006 erfolgt sei, sei die Antragstellerin auch berechtigt, die Bestimmungen der Richtlinie zur Gewährleistung der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung hinsichtlich des Alters unmittelbar für sich in Anspruch nehmen zu können.
Diese Ungleichbehandlung könne nur dann keine Diskriminierung darstellen, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung bilde, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handele. Hierzu sei, so die Kammer, das Amt des hauptamtlichen Beigeordneten mit dem des Amtes von Bürgermeistern oder Landräten zu vergleichen. Während die Altersgrenze von 67 Jahren für die Wiederwahl von Bürgermeistern und Landräten der Regelaltersgrenze für Beamte auf Lebenszeit entspreche, bleibe die Altersgrenze für die Wiederwahl hauptamtlicher Beigeordneter mit 64 Jahren hinter dieser zurück. Es sei in der Hessischen Gemeindeordnung jedoch nicht erkennbar, dass an das Amt des hauptamtlichen Beigeordneten wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingung seiner Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung gestellt werde, die über die entsprechenden Anforderungen an das Amt des Bürgermeisters hinausgehe. Dass auch der Gesetzgeber in Bezug auf hauptamtliche Beigeordnete keine weiteren beruflichen Anforderungen sehe, die es rechtfertigen würden, eine Beschränkung der Amtszeit an das 64. Lebensjahr zu knüpfen, zeige schon die nunmehr beabsichtigte Anhebung der Altersgrenze in § 6 Abs. 6 des Entwurfs des Hessischen Beamtengesetzes (Entwurf für ein Zweites Gesetz zur Modernisierung des Dienstrechts in Hessen). Aus entsprechenden Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass der Landesgesetzgeber zuvor eine entsprechende Anpassung der Hessischen Gemeindeordnung lediglich aus dem Grunde nicht habe vornehmen können, da bundesund landesrechtliche Regelungen des Beamtenrechts noch entgegenstanden.
Die Kammer legte weiter dar, dass für die Ungleichbehandlung der Antragstellerin auch ein legitimes Ziel nicht angeführt werden kann. Für die hauptamtlichen Beigeordneten, die zu den Wahlbeamten auf Zeit zählen, spiele anders als bei normalen Beamten ein Gleichgewicht zwischen den Generationen ebenso wenig wie ein günstiger Altersaufbau eine Rolle. Dies folge schon daraus, dass die Neubesetzung der Ämter durch Wahl erfolge und somit dem Einfluss des Staates weitestgehend entzogen sei.
Als Ziel der Altersbegrenzungen für die Wiederwahl von hauptamtlichen Beigeordneten lässt sich nach Auffassung der Kammer auch nicht die Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand erkennen. Dieses Ziel erscheine lediglich zweckmäßig, soweit Erstwahlen betroffen seien. Denn dieses Ziel trage dem allgemeinen Grundgedanken Rechnung, dass einer effektiven Arbeitsleistung in allen Bereichen der Beschäftigung eine aufwändige Einarbeitung entgegenstehe und deshalb eine gewisse Mindestamtszeit erforderlich sei. Dieses Ziel könne dann nicht verwirklicht werden, werden wegen gesetzlicher Bestimmungen zum Eintritt in den Ruhestand der hauptamtliche Beigeordnete zwangsweise bereits nach kurzer Laufzeit seine Amtsperiode sein Amt nicht mehr ausführen dürfe.
Dies könne jedoch nicht für den vorliegenden Fall einer Wiederwahl gelten. Maßgeblich sei vielmehr die Tatsache, dass der wieder zu wählende hauptamtliche Beigeordnete im Falle seiner Wiederwahl bereits eine gesamte Wahlperiode von 6 Jahren im Amt gewesen sei. Der Aspekt einer aufwändigen Einarbeitung könne hier keine entscheidende Rolle spielen. Die effektive Amtsausführung erscheine gewährleistet und finde bereits durch die Tatsache Ausdruck, dass die Gemeindevertretung den hauptamtlichen Beigeordneten mit der Mehrheit ihrer Stimmen erneut wählen möchte.
Gegen diesen Beschluss (7 L 392/13.WI) ist Beschwerde möglich, über die der Hessische Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden hat.
Anhang
§ 39a Hessische Gemeindeordnung – Wahl und Amtszeit der Beigeordneten
(1) Die Beigeordneten werden von der Gemeindevertretung gewählt. § 39 Abs. 2 gilt für die hauptamtlichen Beigeordneten entsprechend. Zum hauptamtlichen Beigeordneten kann nicht gewählt werden, wer am Wahltag das 64. Lebensjahr vollendet hat.
(2) Die Amtszeit der hauptamtlichen Beigeordneten beträgt sechs Jahre. Ehrenamtliche Beigeordnete werden für die Wahlzeit der Gemeindevertretung gewählt; die §§ 32, 33 und § 39 Abs. 3 Satz 2 und 3 gelten entsprechend.
§ 211 Hessisches Beamtengesetz (HBG) in der Fassung vom 11. Januar 1989(1) Für Beamte auf Zeit gelten die Vorschriften für Beamte auf Lebenszeit entsprechend, soweit nicht gesetzlich etwas anderes bestimmt ist.
(2) Soweit durch Gesetz nicht etwas anderes bestimmt ist, sind Beamte auf Zeit, die nicht als Wahlbeamte unmittelbar gewählt sind, nach Ablauf ihrer Amtszeit verpflichtet, das Amt weiterzuführen, wenn sie unter mindestens gleich günstigen Bedingungen für wenigstens die gleiche Zeit wieder ernannt werden sollen und bei Ablauf der Amtszeit das sechzigste Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
(3) Wird der Beamte auf Zeit im Anschluss an seine Amtszeit erneut in dasselbe Amt für eine weitere Amtszeit berufen, so gilt das Beamtenverhältnis als nicht unterbrochen.
(4) Entscheidungen über Anträge nach § 51 Abs. 4 trifft die Vertretungskörperschaft in geheimer Abstimmung.
(5) Der Beamte auf Zeit, der Wahlbeamter ist, tritt nach Ablauf seiner Amtszeit in den Ruhestand. Ist die Amtszeit eines Beamten auf Zeit, der nicht als Wahlbeamter unmittelbar gewählt ist, bei Vollendung seines fünfundsechzigsten Lebensjahres noch nicht beendet, so tritt er mit dem Ende des Monats, in dem er das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet hat, in den Ruhestand. Die Vertretungskörperschaft kann jedoch in geheimer Abstimmung beschließen, dass ein Wahlbeamter auf Zeit, der noch dienstfähig ist, mit seiner Zustimmung bis zum Ende seiner Amtszeit, längstens jedoch bis zur Vollendung des achtundsechzigsten Lebensjahres, im Amt belassen wird; der Beschluss ist frühestens sechs Monate vor dem in Satz 1 genannten Zeitpunkt zulässig. Der unmittelbar gewählte Beamte auf Zeit, dessen Amtszeit bei Vollendung des einundsiebzigsten Lebensjahres noch nicht beendet ist, tritt zu diesem Zeitpunkt in den Ruhestand.
(6) Tritt der Beamte auf Zeit mit Ablauf der Amtszeit nicht in den Ruhestand, so ist er mit diesem Zeitpunkt aus diesem
Beamtenverhältnis entlassen, sofern er nicht im Anschluss an seine Amtszeit erneut in dasselbe Amt für eine weitere Amtszeit berufen wird.(7) Nach Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres ist der Beamte auf Zeit auf seinen Antrag jederzeit in den Ruhestand zu versetzen.
Entwurf des § 6 Abs. 6 Hessisches Beamtengesetz (gemäß dem Gesetzentwurf für ein Zweites
Gesetz zur Modernisierung des Dienstrechts in Hessen)(6) Ist die Amtszeit eine Beamtin oder eines Beamten auf Zeit, die oder der nicht als Wahlbeamtin oder Wahlbeamter unmittelbar gewählt ist, bei Vollendung des 67. Lebensjahres noch nicht beendet, so tritt sie oder er mit dem Ende des Monats, in dem sie oder er das 67. Lebensjahr vollendet hat, in den Ruhestand. Die Vertretungskörperschaft kann jedoch in geheimer Abstimmung beschließen, dass eine Wahlbeamtin oder ein Wahlbeamter auf Zeit, die oder der noch dienstfähig ist, mit ihrer oder seiner Zustimmung bis zum Ende seiner Amtszeit, längstens jedoch bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres, im Amt bleibt; der Beschluss ist frühestens sechs Monate vor dem in Satz 1 genannten Zeitpunkt zulässig. …
Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens
für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und BerufArtikel 2 – Der Begriff „Diskriminierung“
(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet „Gleichbehandlungsgrundsatz“, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.
(2) Im Sinne des Absatzes 1
a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;
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Artikel 4 – Berufliche Anforderungen
(1) Ungeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.
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Artikel 6 – Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters
(1) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:a) die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;
b) die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile;
c) die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.
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